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Ruschmeyer im Interview: '2020 ist der Verbrenner ein Auslaufmodell'

Im Interview mit 'Die Messe' erklärt der BSM-Vorsitzende Thomic Ruschmeyer, warum er an den Erfolg der Elektromobilität glaubt und erläutert die Schwerpunkte der diesjährigen MobiliTec.

 

1. Politisches Ziel ist es, dass bis zum Jahr 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf Deutschlands Straßen unterwegs sind. Was wurde bereits realisiert und was muss noch getan werden, um dieses Vorhaben zu erreichen?

Der Einstieg von VW und BMW in die Elektromobilität hat den wahrscheinlich entscheidenden Schub gegeben. Die Anschaffung eines elektrischen Autos ist nun nicht mehr mit Verlust von Prestige oder Komfort verbunden. Beim Preis vor allem der Batterie und damit verbunden bei der verfügbaren Reichweite ist noch etwas Spielraum vorhanden. Außerdem wäre es zu wünschen, dass sich Bund, Länder und Kommunen deutlicher positionieren und Nutzervorteile ermöglichen beim Parken oder der Benutzung eigener Fahrspuren. Voraussetzung hierfür ist die rechtsverbindliche Kennzeichnung von E-Fahrzeugen, wie sie der BSM seite Langem fordert und es jetzt endlich in einem aktuell diskutierten Elektromobilitätsförderungsgesetz vorgesehen ist. Ansonsten liegt es Verbänden wie dem BSM, den Menschen die Vorteile nachhaltiger Mobilität vor Augen zu führen.

Das gesteckte Ziel bleibt ehrgeizig. Viele Experten rechnen mit einem Tipping Point, dem Zeitpunkt, an dem die Entwicklung endgültig einschwenkt Richtung elektrische Mobilität. Bis dahin werden noch einige Monate vergehen. Der BSM erwartet allerdings, dass 2020 niemand mehr über die Million spricht. Die fossilen Verbrenner werden dann wohl Auslaufmodelle sein.

BSM-Stand auf der MobiliTec 2013 (BSM/tr)

2. Der BSM ist auf der MobiliTec im Rahmen der Hannover Messe vertreten. Eines Ihrer zentralen Themen wird die Netzintegration bzw. die Netzinfrastruktur sein. Wie ist hier der aktuelle Stand? Welche Geschäftsmodelle könnten uns in Zukunft erwarten und wo liegen die größten Hürden?

Im BSM-Forum am Donnerstag (10.4./Halle 27) werden wir uns ab 10:30 Uhr ausführlich mit der Frage beschäftigen, wie der Ausbau der Infrastruktur und der Erfolg der Elektromobilität einander bedingen – unter der Überschrift „Henne und Ei“. Damit wird schon klar, dass die Antwort nicht leicht fällt. Der Verkauf von Ladestrom allein lässt sich nicht wirtschaftlich betreiben, daher bleibt der Ausbau der Infrastruktur Sache von Ländern und Kommunen. Ideal wäre eine Umlage auf den Netzausbau, wie in vergleichbaren Zusammenhängen üblich ist. Bis heute hat übrigens das vom BSM in Deutschland eingeführte Bürgermodell 'Park+Charge' die größte Zahl von Ladepunkten.

Die Integration der Elektromobilität in das Versorgungsnetz wird ein wesentlicher Faktor sein für den Erfolg der Energiewende, die auch eine Verkehrswende sein muss. Das größte Hindernis ist die Divergenz der Interessen. Energieversorger, Netzbetrieber, Autohersteller und Fahrzeughalter haben hierbei ganz unterschiedliche und häufig einander ausschließende Positionen: Der Nutzer schont seine Batterie und möchte günstigen Strom beziehen, der Versorger will dagegen teuren Strom per Schnellladen verkaufen, der Netzbetreiber wiederum will die Kontrolle über das Versorgungsnetz, der Fahrzeughersteller über seine Leistungselektronik behalten.

Der Einsatz elektrischer Fahrzeuge als mobiler Speicher ist ein Bauteil der Energiewende. In dem Schaufenster-Projekt des BSM „Tanken im Smart Grid“ ('PiVo') werden neben Systemdienstleistungen auch der Lastausgleich innerhalb des Nutzerhaushalts und die Beobachtung der Versorgungsqualität adressiert.

Auf dem Gemeinschaftsstand des BSM auf der MobiliTec sind einige Mitglieds-Unternehmen vertreten, die sich in den Bereichen Infrastruktur, Flottenmanagement, Solar-Carports, Batterietechnik und vieles mehr engagieren. Insgesamt vermittelt der BSM auf der MobiliTec einen guten Eindruck, welche Chancen für die industrielle, aber auch die Entwicklung in Verkehr, Transport, Energie und Stadtplanung im Ausbau der erneuerbaren Elektromobilität liegen. Mehr zu unserem Messeauftritt finden Sie auf unserer Website www.bsm-ev.de/mobilitec.


3. Hybrid- oder Elektrofahrzeug, wird sich ein Modell durchsetzen? Welche Fahrzeugkonzepte sind noch vorstellbar?

Der Einbau von zwei Motoren – und nichts anderes bedeutet 'hybrid' – kann nur eine Übergangstechnologie sein. Nutzer von Hybrid-Fahrzeugen wie Opel Ampera oder Toyota Prius, die bereits übliche Pendlerstrecken rein elektrisch fahren können, werden über kurz oder lang ihren Verbrennungsmotor nicht mehr einsetzen, wenn sie im Alltag mit dieser Reichweite auskommen.Wer wiederholt wegen der Komponenten des Verbrennungsmotors in die Werkstatt musste, wird beim nächsten Mal auf diese anfällige, umweltschädliche und laute Technologie verzichten. Wasserstoff- und Brennstoffzellen wiederum sind bislang sehr aufwändige und teure Technologien, so dass ihre Zukunft ungewiss ist.

Das Interessante am elektrischen Antrieb ist auch die Flexibilität für das Fahrzeugdesign. Für innerstädtische Geschwindigkeiten von durchschnittlich etwa 20 km/h, moderne Radnabenmotoren oder elektronische Fahrassistenzsysteme könnten die Prioritäten anders als bisher gesetzt werden. Aus dem Umfeld des BSM gibt es laufend neue Konzepte. Der im letzten Jahr vorgestellte Einsitzer Colibri ist inzwischen serienreif. Weitere Modelle werden im Laufe dieses Jahres vorgestellt.

Auf der IKE im Mai 2013 (BSM/mb)

4. Wie alltagstauglich sind E-Fahrzeuge derzeit und worauf sollte man beim Kauf eines elektrischen Gefährts achten?

Mit dem Einstieg vor allem der deutschen Hersteller Volkswagen und BMW stehen nun überzeugende Modelle zur Auswahl. Tesla, Nissan und die französischen Konzerne PSA und Renault bieten eine ähnliche Qualität schon seit längerer Zeit. All diese sind empfehlenswert, wenn es darum geht, ein umweltfreundliches und zuverlässiges Auto zu kaufen. Ausstattung, Fertigungsqualität und die weiteren angebotenen Dienstleistungen sind absolut konkurrenzfähig zu vergleichbaren Verbrenner-Modellen. Die Kooperation von BMW mit Naturstrom zum Beispiel zeigt, dass der positive Effekt für die Umwelt auch von der Industrie im Blick behalten wird. Der BSM hat seit seiner Gründung 1989 auf den Zusammenhang Wert gelegt, dass Elektromobilität nur bei Verwendung regenerativer Energien sinnvoll ist.

Der BSM möchte außerdem darauf hinwirken, dass  insgesamt weniger Verkehr anfällt. Es kann nicht unser Ziel sein, emissionsfrei im Stau zu stehen. Das eigene Auto soll nicht einfach ersetzt werden durch ein elektrisches, sondern durch ein nachhaltiges multimodales Konzept, das alle vernünftigen Alternativen und Kombinationen von Verkehrsmitteln berücksichtigt. Diese 'systemische' Mobilität findet sich auf dem Messeauftritt des BSM darin wieder, dass nicht nur Fahrzeuge und Infrastruktur, sondern mit der „Mobilitätsschule“ auch ein Projekt präsentiert wird, mit dem diese Zusammenhänge Eingang finden sollen in die Lehrinhalte der Fahrschulen (www.mobilitaetsschule.de).

eSmart auf der IKE (BSM/mb)

5. Was muss getan werden, um die Akzeptanz von Elektroautos in der Bevölkerung zu verbessern?

Schon jetzt ist den meisten Menschen bewusst, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört, auch wenn sie sich noch kein elektrisches Fahrzeug leisten können oder wollen. Um die Elektrofahrzeuge zu alltäglichen Gegenständen zu machen, müssen mehr davon unterwegs sein und ohne besondere Hürden verfügbar sein wie etwa beim Car-Sharing oder touristischen Mobilitätsangeboten.

Sehr wirksam besonders auch für Kinder sind Veranstaltungen, auf denen ganze Areale ausschließlich elektrisch befahren werden dürfen wie schon jetzt in einigen europäischen Kommunen oder anlässlich des Weltkongresses des Elektromobilität EVS 27 in Barcelona. Auch die Wettfahrten wie eTour Europe, WAVE oder Tour de Ruhr bringen nicht nur viele Elektromobilisten zusammen, sondern demonstrieren höchst anschaulich die Vorteile dieser Antriebsart.

Das überzeugendste Argument für die Elektromobilität aber heißt 'Ausprobieren'. Allein die Beschleunigungswerte und das einfache Handling können schon süchtig machen.

Colibri auf der MobiliTec 2013 (BSM/ok)

6. Zeichnen sich bereits technischen Innovationen ab, die die Branche in geraumer Zeit revolutionieren werden?

Viele Innovationen im Bereich der Fahrassistenzsysteme sind den Autofahrern bereits ein Begriff. Wirklich revolutionär wird die Umstellung auf automatisiertes Fahren sein. Die Vernetzung der Pkw untereinander, die Möglichkeiten der Verkehrslenkung, die Vermeidung von Gefahrsituationen und viele weitere Neuerungen lassen sich in elektrischen Fahrzeugen viel einfacher umsetzen, die bereits über eine Elektronik und nicht durch einen mechanischen Gaszug gesteuert werden. Daher ist die Elektromobilität auch hier klar im Vorteil.

Der elektrische Antrieb motiviert zu vorausschauender und ressourcenschonender Fahrweise. Wenn dies die Atmosphäre im Straßenverkehr prägt, werden noch ganz andere Verbesserungen für das Zusammenleben offenbar. Hier liegt der Maßstab für den Wert technischer Innovationen. Der BSM arbeitet darauf hin, diese Aspekte bewusst zu machen.


7. Wie gut ist Deutschland auf dem globalen E-Mobility Markt aufgestellt? Welche internationalen Beispiele haben Vorbildcharakter?

Deutschland hat einigen Nachholbedarf auf das Musterland der Elektromobilität Norwegen und die Niederlande, das Partnerland der Messe. Auch die übrigen skandinavischen Staaten sowie Frankreich, wo sich die großen Hersteller seit Langem engagieren, und natürlich die Pioniere der Elektromobilität in der Schweiz haben noch einen Vorsprung. Nicht alle Maßnahmen etwa der Stadt Oslo mit Parkfreiheit, Busspurbenutzung und Kaufprämie können dabei auf Deutschland übertragen werden. Allerdings sollten wir uns davor hüten, jeden Vorschlag mit dem Argument zu verwerfen, es funktioniere nicht immer und überall. Wenn z.B. zu viele Elektromobile die Busspuren blockieren, muss man diesen Vorteil wider entziehen. Dann sind die Strom-Autos wieder wie 'normale' Pkw zu behandeln.

Der Erfolg deutscher Automobilhersteller wird sich voraussichtlich auch auf dem Gebiet der Elektromobilität einstellen. Deutsches Engineering genießt international einen unerschütterlichen Ruf. Wenn sie die entsprechenden Stückzahlen liefern, können sich die deutschen OEMs sicher gegenüber anderen Lieferanten behaupten.


8. Gibt es auf der diesjährigen MobiliTec einen Schwerpunkt, um den sich der Austausch der Experten vornehmlich drehen wird?

Im Vordergrund wird bei dieser MobiliTec neben den neuen Fahrzeug-Modellen vor allem der Ausbau der Infrastruktur stehen. Hier sind zum Einen technische Neuerungen der  Schaufenster-Projekte wie 'PiVo', aber auch die Rolle der öffentlichen Verwaltung von Interesse. Nicht nur für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, sondern auch bei der Standardisierung werden in diesen Tagen wichtige Entscheidungen gefällt.

Das von der Bundesregierung in Angriff genommene Elektromobilitätsgesetz, das mit einheitlicher Kennzeichnung und einigen StVO-Änderungen die tatsächliche Förderung überhaupt erst ermöglichen wird, könnte das Überthema der MobiliTec 2014 werden.  Der BSM fordert die Kennzeichnung bereits seit seiner Gründung 1989. Ganz aktuell am VW eUp kann man die Notwendigkeit erkennen: Äußerlich ist er nur an der Typenbezeichnung auf der Heckklappe zu unterscheiden von der Version mit Verbrennungsmotor. Im fahrenden Verkehr ist das nicht zu erkennen.