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Standardisierung als Schrittmacher der E-Mobilität?

Im kleinen Schweizer Ort Dielsdorf bei Zürich trafen sich am 6. September viele Elektromobilitätsexperten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Wilfried Blum und Eduard Stolz hatten zur ‚7th Open Platform Infrastruktur‘ von opi2020 eingeladen unter der Überschrift: „Elektromobilität und Infrastruktur: aktuelle Herausforderungen und Ausblick“.

Von Andreas-Michael Reinhardt, Berlin

opi2020-Manual Elektromobilität – das Schweizer Taschenmesser der technischen Experten
Das „Technische Manual Elektromobilität und Infrastruktur 2012“ von Eduard Stolz (Herausgeber opi2020) verkörpert das Schweizer Taschenmesser für jeden Experten im Zukunftsmarkt Elektromobilität. Auf 130 DIN-A-4-Seiten kondensiert das aktualisierte Handbuch fundierte Erfahrungen aus allen Elektromobilitätsbereichen, vom Fahrzeug, über Batterie, Ladetechniken bis hin zur Infrastruktur. Wenn man das Manual aufschlägt, die Texte liest, versteht und ggf. umsetzt, hat an schon 40% der Wegstrecke hin zu nachhaltigeren Lösungen für technisch überzeugendere und wirtschaftlich tragfähigere Produkte im Zukunftsmarkt Elektromobilität geschafft, so mein Fazit. Das Manual wurde am 6. September bei der "7th Open Platform Infrastructure" in Dielsdorf vorgestellt und den opi2020-Mitgliedern überreicht.

Warum trotz Vorfahrt des Elektrofahrzeugs vor hundert Jahren das Benzin angetriebene Auto davon fuhr, konstatiert der Autor im Manual 2012 ganz trocken: “Die höhere Energiedichte im Tank (rund 10 kWh pro Liter Benzin) und die leistungsfähigen Tankstellen (1 Liter Benzin pro Sekunde, d.h. eine «Ladeleistung» von rund 36 MW) waren schon damals unschlagbar. Den schlechten Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors, das Schaltgetriebe, Lärm und Luftverschmutzung musste man in Kauf nehmen“. Das ist für Eduard Stolz noch immer die Herausforderung für alle Fachleute. Es gilt die technischen Lösungen zum Beispiel für Energie-Abgabestellen („Ladesäule“ war das Unwort in Dielsdorf) und Infrastruktur für Elektrofahrzeuge so zu entwickeln und auf den Weg der Normung zu bringen, dass diese zukunftsfähig und wirtschaftlich überzeugender zugleich sind. Diesem Anspruch werden jedoch viele E-Produkte noch immer nicht gerecht, meinte in Dielsdorf nicht nur Manual-Autor Stolz.

opi2020 Manual 2012 – Kalorienreicher als eine Schweizer Pralinenschachtel
Tragfähige Konzepte aufzuzeigen, Hintergründe zu skizzieren, Rahmenbedingungen zu benennen, technische Lösungen und Betriebserfahrungen zu vermitteln, dafür steht das Manual 9/2012. Das vorgestellte Fachbuch im DIN-A-4-Format wiegt zwar schwerer als eine Riesenpackung Schweizer Pralinen, doch es setzt dort Pfunde bei Entwicklern und Unternehmen an, wo ausschließlich überlegenes know-how und in der Praxis erworbenes (und bezahltes!) Fachwissen überzeugende, wettbewerbliche Produkte im Markt der Elektromobilität zeitigen werden.

Eduard Stolz übergibt das opi2020-Manual dem Vertreter der EKZ (Elektrizitätswerke des Kanton Zürich)

Wer sich nicht die Mühe macht, dieses Manual zu umzusetzen, wird als Entwickler, Hersteller oder Dienstleister keinen tauglichen, effizienten wie auch umweltschonenden Beitrag zur E-Mobilität anbieten können – das ist meine feste Überzeugung. Selbst für gestandene opi2020-Mitglieder und diesjährige Tagungsteilnehmer ist es eine ständige Herausforderung. Die Komplexität der E-Mobility-Materien und Entwicklungserfordernisse erfordern diesen umfassenden Sachverstand ad hoc in Einzelfragen. Hierbei kann das Manual als eine Wissensdatenbank hilfreich sein. Das rechtfertigt auch einen Preis in Höhe eines modernen Pedelecs!

Schweizer Datenträger E-Mobility statt Banken-CDs
Statt zweifelhafter CDs sollte die Regierung von NRW in Zürich Datenträger mit dem geballten Schweizer know how zur E-Mobility legal erwerben. Dieses  Expertenwissen kann von Nutzen sein, will man Leitanbieter in der Elektromobilität werden. Allein die langjährigen praktischen Erfahrungen der Schweiz mit Elektrofahrzeugentwicklungen und deren Alltagseinsatz in Städten, Kantonen und Gemeinden, machen es ratsam, sich immer wieder fachlich auszutauschen, zuzuhören und miteinander die E-Mobility weiter zu entwickeln. Wenn wir die Chancen des D-A-CH- Raums bei der Fortentwicklung der Elektromobilität nicht konsequent und zügiger nutzen, bekommen wir im Weltmarkt als Europäer eins aufs Dach.

Allein schon das Züricher know-how von EKZ, den Verbänden VSE, AGVS, e-mobile und von opi2020 kann unser aller Projekte und Vorhaben in Europa und Deutschland nur positiv beeinflussen. Die Gastfreundschaft in Dielsdorf, vorbildlich unterstützt vom Gastgeber BMW (Schweiz) AG, die gute Tagungs- Atmosphäre, der individuelle fachliche Austausch wie auch streitige Diskurs füllten den Reisekoffer für die Heimreise eines jeden Einzelnen, auch mit USB, und …CD Ade! Die umsichtige Tagesordnung brachte Experten und Protagonisten verschiedener Fachbereiche zusammen, darunter auch einen eindrucksvollen Beitrag von Jochen Mahlein (SEW-EURODRIVE, Bruchsal) zum Thema und Fortschritt beim induktiven Laden: “Wireless Power Transfer. Anschluss finden ohne Kontakt“. Das Laden ohne Kabel verläuft heute schon problemloser als mit Kabel, wie die Erprobung in Modellprojekten beweist, und dürfte die Technik der Zukunft sein. Zur Zeit stecken wir jedoch beim Stecker fest, wie anlässlich der opi2020-Tagung wieder einmal deutlich wird. Allerdings gibt es erfreuliche Fortschritte.

Bringt die ISO/IEC 15118 den Aufbruch?
Einerseits schreibt Eduard Stolz zum wichtigen Thema „Stecker und Infrastruktur“ im Manual: “Das Problem bei Stecker und Steckdose liegt in der Kompatibilität von Bestehendem und Zukünftigem. Von dem, was ist, und von dem, was wir uns wünschen, das einmal sein soll. Wenn wir auch nur bei einer Komponente einen Systembruch provozieren, kann das ein gravierendes Problem für die Akzeptanz des Elektrofahrzeuges werden. Eines der wichtigsten Elemente dabei ist der Netzstecker. Er sollte: international genormt, anerkannt und verbreitet sein, wenn er spezifische Aufgaben übernehmen muss, zumindest zu einem solchen System mechanisch und elektrisch kompatibel sein, heutige und zukünftige Leistungsanforderungen erfüllen können, fertig industrialisiert und lieferbar sein, die Möglichkeiten der Niederspannungsnetze ausschöpfen können, für zukünftige wünschenswerte Zusatzfunktionen keine Barriere darstellen, für Sicherheit stehen und ...“

Dielsdorf und die „opi2020“-Tagung waren die Bühne einer der ersten Vorstellungen des nunmehr verallgemeinerungsfähigen „Combined Combo Charging“(CCC)-Ansatzes (AC+DC-Laden) durch die Experten Robert Weber (BMW Group) und Matthias Kübel (Volkswagen AG) und moderiert von Heiko Dörr von der Geschäftsstelle Ladeschnittstelle, Berlin. Bekanntlich haben in den letzten Jahren deutsche und amerikanische Automobilhersteller das ‚Combined Charging System‘ entwickelt und bemühen sich jetzt, dies auch mit China und anderen Ländern als weltweiten Standard zu etablieren. Über dieses universelle Ladesystem – jedes Fahrzeug verfügt über eine handliche, einheitliche und deshalb preiswertere Ladebuchse hinter der „Tankklappe“– kann ein/e E-Fahrer/in das Fahrzeug auf allen verfügbaren Arten „langsam“ bis „schnell“ laden. Die Fahrzeug-Schnittstelle deckt den einfachen Hausanschluss ebenso ab wie das ultraschnelle Laden an einer DC-Ladestation etwa an einer Bundes- oder Fernstraße. Ob das japanische Chademo-System als der gegenwärtige De-facto-Standard hierdurch ernsthaft herausgefordert werden wird, bleibt abzuwarten. Noch lassen neue E-Fahrzeuge der CCC-Koalition auf sich warten, sind jedoch für 2013 bereits angekündigt.

Schnell Laden
Wenngleich DC-Laden insgesamt für die nachhaltige Ausbreitung und den Erfolg der Elektromobilität – z.B. im Pendler- und Kurzstreckenverkehr - von untergeordneter Bedeutung ist, schreibt Eduard Stolz zum Thema in seinem Manual lapidar: „«Schnell-Laden» (Fast charging) meint: Die Energieversorgung des Elektrofahrzeugs bzw. der Traktionsbatterie mit (verglichen zur Batteriekapazität) hoher Leistung in sehr kurzer Zeit (weniger als 50 Minuten). Diese Leistung kann bei den verschiedenen Fahrzeug-Kategorien sehr unterschiedlich sein. 0,5 kW für Pedelecs und bis zu 50 und mehr kW bei Personenwagen der Kategorie M1. Eine einheitliche Definition für «fast charging» ist also nicht möglich.“ Das Manual untersetzt textlich die Zusammenhänge und Bedingungen für unterschiedliche Ladeoptionen u.a. auch durch prägnante Abbildungen zum besseren Verständnis (siehe Grafik).

Zur Infrastruktur stellt Stolz nüchtern fest: „DC-Infrastruktur. Flottenbetreiber: Zusammenschluss verschiedener Flottenbetreiber in einem Grossraum, gemeinsame Planung der Standorte für «Schnell-Ladung». Private Nutzer: «Schnell-Ladung» an strategischen Verbindungsachsen, vorzugsweise gekoppelt mit SPVN (batterie-gepufferten stationären Regelleistungsreserven, siehe 7.7).“

OEM-Experten zum ‘Combined Combo Charging’
Für die Automobilkonzerne ist es von größter Wichtigkeit, dass „hinter der Tankklappe“ bei den Fahrzeug-Karosserien gleich welcher Hersteller eine einheitliche Schnittstelle verbindlich abgesichert ist, die mit der jetzigen Tanklösung bauraumkonform ist. Dies gilt jegliche Ladedosen in möglichst allen Ländern, wo Fahrzeuge verkauft werden. Die PLC (Power Line Communication) basierende Schnittstelle gemäß ISO/IEC 15118 für alle Lade-Modi ist der gemeinsame OEM Nenner konform „IEEE 1901 HomePlug Greenphy, IPV6 and data security“, wie die Präsentation in Dielsdorf herausstellte.

Robert Weber brachte den BMWi Electric Drive zur opi2020-Tagung mit, der über diese Schnittstelle verfügt. In Verbindung mit einer Gleichstrom-Ladeinfrastruktur demonstrierten Weber und sein VW-Kollege Kübler den heutigen Stand der Technik, dessen Unterstützung sie auch den Energieversorger anempfehlen. Die Diskussion mit den in Dielsdorf anwesenden Experten hinterließ den Eindruck, dass trotz bestehender Skepsis der vorgestellten ‚Combined Combo Charging‘-Lösung jetzt eine Chance im Markt gegeben werden sollte. Damit ließe sich der Tatsachenbeweis antreten, dass zukünftig alle E-Fahrzeuge der vereinten OEMs – leider ohne Franzosen, Japaner und Chinesen (noch?) - diskriminierungsfrei darauf ausgelegt sind, sowohl AC-als auch DC-Laden zu unterstützen und auch abwärtskompatibel sein werden. Behauptet wird, dass CCC den technischen Anleitungen auf der Netzseite entsprechen werden trotz aufwändiger Kommunikationen beim Auf-und Abbau und der Unterbrechung einer Ladeverbindung zwischen EV und Energieabgabestellen in den unterschiedlichsten Länder- und Netz-Szenarien.

Ladestandard für Einspur-Fahrzeuge weltweit in Sicht
Vielleicht wurde die Diskussion zugunsten einer einheitlichen Wechsel- und Gleichstrom- (Schnell-) Ladelösung in Dielsdorf aber auch beeinflusst durch den zuvor vorgestellten EnergyBus-Standard „CD-Committee Draft“. Der Vortrag „Beispiel für eine de facto-Standardisierung. EnergyBus“ hat gezeigt, wie schnell sich bei Zweirädern eine Ladeschnittstelle international durchgesetzt hat - erfreulicherweise einvernehmlich. Olaf Zanger (m-way, CH / Foto rechts) von der internationalen EnergyBus-Initiative trug hierzu eindrucksvoll vor und konnte bereits aus der Praxis anhand von Beispielen und untersetzt durch Anwendungen, wie z.B. durch Ziegler Metallbearbeitung AG(D), berichten. Auch machte ein EnergyBus-Stecker als Muster im Publikum die Runde. „It’s real“, könnte man jetzt sagen. Insbesondere die bereits im 2.Quartal 2013 zu erwartende „One stop charging and securing solution“, welche an einem einfachen Poller den sicheren Schluss eines E-Bikes oder Pedelecs gleichzeitig mit dem Laden ermöglicht („Ladeschlosslösung“), wird nicht nur die Freunde der Einspur-Mobilität erfreuen wegen der möglichen niedrigen Kosten für Laden und Diebstahlschutz zugleich. Zudem kann Eduard Stolz, der Wegbegleiter und Antreiber dieser „Keep it simple and stupid“-Lösung, Eduard Stolz, sicherlich einen EMobility Award in 2013 einbringen.

Wichtige Veranstaltung
Die Dielsdorfer opi2020-Tagung war in meinen Augen eine der wichtigsten E-Mobility-Veranstaltungen in 2012 mit hohem Nutzen für Vortragende wie Anwesende gleichermaßen und war zudem rein elektrisch erreichbar, dank Schweizer und Deutscher Bahnen und hoher Vertaktung. Aufgrund der Vorstellung des ‚opi2020 Manual 2012 Elektromobilität und Infrastruktur‘ in Dielsdorf, dessen Lektüre dringend empfohlen wird, kann man ein „AAA“ als Prädikat der Fachtagung gerne zubilligen und dem Moderator Wilfried Blum (CH) und Gastgeber Eduard Stolz ein Dankeschön zurufen.