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Grünheide, Wind und Berghain

Der Tesla-Chef Elon Musk hat am 12.11.19 in Berlin das Goldene Lenkrad der AutoBild erhalten für das Model 3. Bei der Verleihung kündigte er an, eine Gigafactory in der Nähe des Flughafens Schönefeld zu errichten. Diese Nachricht weckt große Hoffnungen in der Region, die neben der Nähe zu einer vibrierenden und kreativen Großstadt vor allem eines bieten kann: erneuerbare Energie. Am voraussichtlichen Standort Grünheide wurde 2000 ein geeigneter Bebauungsplan erstellt - für ein BMW-Werk.

von Matthias Breust

In den letzten zwei drei Jahren wurde viel spekuliert, für welchen Standort einer Gigafactory in Europa sich Tesla entscheidet. Auch viele deutsche Bundesländer hatten sich bemüht und zuletzt gemeinsam eine Liste mit geeigneten Liegenschaften vorgelegt, aus der Elon Musk nun Brandenburg auswählte. Viele Politiker aus der Region reklamieren ihren Einfluss auf diese "unternehmerische Entscheidung", ebenso wie Wirtschaftsminister Altmaier, der sich schon bei der Batterieproduktion weit aus dem Fenster lehnte. Außerdem ist ein Design- und Ingenieur-Zentrum in Berlin geplant, so dass von insgesamt 7.000 Arbeitsplätzen die Rede ist. In der mit Industrie nicht eben gesegneten Region wäre das eine "Riesennummer", wie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sich freute. In der Nachbereitung der Ereignisse wird offenbar, dass Elon Musk zwei Aspekte überzeugten, die Nähe zu Berlin und die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, sprich Berghain und Windräder.

Pluspunkt Brandenburgs: erneuerbare Energie (Foto mb/BSM)

Die Ankündigung hat schon jetzt eine überwältigende Resonanz, die bei keiner anderen Branche denkbar wäre. Die ubiquitären Zweifel, ob Tesla überhaupt ein tragfähiges Geschäft betreibt, ob es eine nachhaltige Produktion anstrebt, ob die Fahrzeuge ausreichend sorgfältig gefertigt, gern gekauft, pünktlich geliefert, im Alltag gefahren, mit verfügbarem Ökostrom geladen werden, dürften sich nun in Nichts auflösen. Es ist keine gewagte Prognose zu behaupten, dass Tesla die Produktion der Grünheider Gigafactory aus den Händen gerissen wird. Nebenbei wird der verbreitete Glaube erschüttert, dass sich nichts ändern würde am Status Quo.

Wenn Ende 2021 die ersten Model Y - ein Kompakt-SUV auf Basis des Model 3 - vom Band rollen, wird die Welt vor den Werkstoren eine andere sein. Nicht nur in Grünheide, wo schon jetzt die Immobilienpreise explodieren und der Takt der Regionalbahn diskutiert wird. Die Elektromobilität insgesamt wird einen gewaltigen Schub erhalten, sobald deutsche Produkte zu kaufen sind. Und wieder wird Tesla der Gamechanger sein, der schon vor 10 Jahren mit einer Produktion von anfänglich lächerlich wenigen und denkbar unpraktischen Fahrzeugen die Riesen der Branche aufgeschreckt hat.

links: Model 3 bei der WAVE 2019 (Foto mb/BSM)

Beim ersten Roadster (rechts, Foto Tesla) hatten Musk schon deutsche Ingenieure unterstützt. Bis heute zieht es viele Fachleute zu Tesla, die sicher auch bei den deutschen OEMs Arbeit gefunden hätten. Aber Tesla ist ein wachsendes und aufregendes Unternehmen, insofern scheint die Entscheidung für einen Standort nahe Berlins verständlich.

Besonders für das Design- und Ingenieurs-Zentrum dürfte in Berlin leichter Personal zu finden - oder dorthin zu locken sein. Das Volkswagen Design Center sitzt schließlich auch nicht Wolfsburg, sondern in Potsdam.

Zur allgemeinen Überraschung plazierte Elon Musk die Ankündigung in einer TV-Live-Sendung zur Verleihung des "Goldenen Lenkrads". Dabei ging fast unter, dass das Model 3 in der oberen Mittel- und Oberklasse die deutsche Konkurrenz hinter sich ließ. Der Sieg vor BMW 3er und Audi A4 kam mit einer Rekordpunktzahl zustande. Die drei Finalisten wurden von den Lesern der Autobild bestimmt und von einer Jury nach einem Test auf dem Lausitzring bewertet. Für elektrische Autos gab es beim Goldenen Lenkrad keine Sonderregeln. Anders gesagt: das Tesla Model 3 ist Deutschlands beliebtestes Auto.

Auch wenn zuletzt einige Nachrichten irritierten, bleibt der Unternehmer Elon Musk ein einflussreicher Unternehmer. In seinem ersten Job bei "Paypal" hat er das Bezahlen im Internet revolutioniert. Mit dem Erlös aus den Firmenanteilen hat er ein elektrisches Auto mit 500 km Reichweite gebaut und den Weg für den Boom geebnet, den wir jetzt erleben. Mit Space X fliegt tatsächlich ein Raumschiff (mit neuem Roadster) zum Mars, und auch der Hyperloop, eine Art Rohrpost für Menschen, funktioniert. Die häufig bemühten nicht eingelösten Versprechen von Elon Musk betrafen meist Zeiträume, innerhalb derer er bestimmte Ziele erreichen wollte. Diese Versprechen waren eher sozialer Druck für interne Anweisungen als ernst gemeinte Messlatten. Die meisten der Ziele hat er außerdem nur später als angekündigt erreicht, lediglich die Level 5-Automation lässt noch auf sich warten.

In Grünheide müsste zusätzlich zum freien Baugrund ein Stück Kiefernwald gerodet werden, für das Tesla eine Aufforstung der dreifachen Fläche versprochen hat. Der Widerstand von Naturschützern regte sich bereits, so dass bei allem Rückenwind mit einigen Verzögerungen zu rechnen ist. Aber Elon Musk ist optimistisch, dass "die Gigafactory noch vor dem BER" eröffnet wird. Man muss kein Jünger Musks sein, um zu konstatieren, dass er sich für seine Ziele mit ganzer Kraft einsetzt, so wie er zum Auslieferungsstart des Model 3 in der Fabrik gewohnt hat. Wir würden uns freuen, wenn die Gigafactory in Grünheide tatsächlich Wirklichkeit wird - auch wenn es sinnvollere Autos als das Model Y gibt.