Halb voll oder halb leer | BMWi-Vernetzungskonferenz
Text und Fotos: mb
Am Abend des ersten Konferenz-Tags wurde es als "historisches Ereignis" angekündigt. Der Bundesminister für Wirtschaft Peter Altmaier (links) will bis 2030 einen Marktanteil in der Zellfertigung von 30% erreichen. Šefčovič stellte im Anschluss klar, dass die Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen erhebliche Anstrengungen bedeutet. Der Vizepräsident der EU-Kommission erwartet daher vom versammelten Mobilitätssektor, was der Minister und er selbst vorgemacht haben: Ärmel hochkrempeln.
Das Bundeswirtschaftsministerium lädt alle zwei Jahre zu einer "Vernetzungskonferenz Elektromobilität". Auch in diesem Jahr war das Interesse deutlich größer als die verfügbaren Kapazitäten. Große Energieversorger, Vertreter kommunaler Organisationen, Service-Unternehmen, Automobil-Zulieferer und andere diskutierten über die Perspektiven einer fast ausentwickelten Fahrzeugtechnologie. Die begleitende Ausstellung wiederum bestand aus vielen Forschungsprojekten, deren Weg auf die Straße noch recht weit ist.
In einem der Fachforen referierte ein Vertreter von VW versiert über gesteuertes Laden und Rückspeisung, während sein Arbeitgeber bis heute die entsprechende Technologie in seinen Fahrzeugen nicht anbietet, obwohl dies technisch längst möglich wäre. Bei den "E-Nutzfahrzeugen" ist man als Käufer auf Streetscooter oder mittelständische Umrüster wie Framo, EFA oder eCap angewiesen. Mit anderen Worten gibt die Elektromobilität auch 2018 ein disparates Bild ab, obwohl draußen kaum noch jemand Diesel kaufen will, und viele Kommunen die Autos gern komplett loswerden würden.
Die Themen der Fachforen waren vorwiegend technisch orientiert. Selbst bei den "Mobilitätskonzepten" stand die Machbarkeit von Sharing-Modellen im Vordergrund. Angesichts der vielen Experten aus der Praxis herrschte ein hohes Niveau vor. Zur Eröffnung nahm das Fachpublikum zwar erstmal ein Update von Prof. Kagermann entgegen zur neuen "Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität", der auch der BSM-Vorsitzende Thomic Ruschmeyer angehört. Darauf folgten Unterweisungen der DENA-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp in Sachen CO2-Bilanz elektrischer Fahrzeuge und Ausgestaltung der Sektorenkoppelung, die sie immerhin garnierte mit der Forderung nach "last-abhängigem Realtime-Pricing". Aber danach wurde es interessant.
Franz Loogen (rechts) mahnte die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie an. Der Geschäftsführer der Agentur e-mobil BW hat dabei nicht nur den geschäftlichen Erfolg der Unternehmen im Blick, sondern auch den Wohlstand der Gesellschaft insgesamt. Bereits auf dem BSM-Forum 2015 in Hannover hatte er die Benchmark-Studie "Elektromobilität weltweit" vorgestellt, in der die imminente Bedeutung der Zellfertigung herausgehoben wurde. Ohne dieses Bauteil, das etwa ein Drittel des Fahrzeugwerts ausmacht, sei eine einträgliche Produktion von Elektrofahrzeugen nicht vorstellbar.
In der Strategie der OEMs blieb dieser Aspekt bisher außen vor, weil sie - nach unserem Eindruck - an der Elektromobilität kein echtes Interesse hatten, und schon gar keine Milliardeninvestitionen tätigen wollten. Auch andere Konzerne wie Bosch und Continental haben zuletzt Abstand genommen von der Idee einer Zellfertigung in Europa, die aber von Minister Altmaier offenbar mit wachsendem Nachdruck vertreten wird. Daher brauchten die Beteiligten nur auf diesen Moment zu warten, in dem der Bund ausreichend Steuergeld in die Hand nimmt.
Loogen führte noch ein weiteres Marktgesetz ins Feld: "Die größte Marge wird an der Kundenschnittstelle erzielt." Wer an den Endnutzer verkauft, macht den meisten Gewinn. Auch diesen Vorsprung drohen die OEMs zu verlieren, wenn sie keine Angebote machen, und nicht einmal die vielbeklagte geringe Nachfrage mit ausreichenden wettbewerbsfähigen Modellen bedienen können. Trotz dieser überschaubaren Vorgaben hat die Industrie noch nicht angemessen reagiert. Dabei seien laut Loogen die Zyklen bei technischen Entwicklungen immer noch schneller als bei Infrastruktur-Entscheidungen der Kommunen. Der Bau einer Umgehungsstraße kann z.B. mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Zur Erreichnung der Klimaziele seien wir daher alle zum sofortigen Umdenken aufgefordert.
Bei der anschließenden Diskussion mit Vertretern der Stadt München, dem Städte- und Gemeindebund und einem besonders engagierten Landkreis wurde klar, welche Widerstände überwunden werden müssen. Trotzdem weisen wir als BSM darauf hin, dass die einfachste, gerechteste und billigste Methode zur Verbesserung der Luftqualität eine vollständige Sperrung der Innenstadt ist. Die Automobilkonzerne ersparen sich Veranstaltungen wie diese Vernetzungskonferenz offenbar nicht nur, weil sie ständig mit Zumutungen wie Fahrverbot und gesperrten Innenstädten konfrontiert werden, sondern auch, weil hinter der Elektromobilität die Abkehr vom privaten Pkw lauert. Wie sagte noch der Präsident des norwegischen Elektromobisten-Vereins Elbil, Espen Hauge: "Was fahren unsere Mitglieder nach dem Tesla? Fahrrad."