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Wann kommt die E-Mobilität ins Rollen?

Die Veranstaltungen des Frühjahrs 2017 ergeben zusammen mit den Nachrichten aus der Politik ein gemischtes Bild. Während sich viele Konferenzen mit vollmundigen Versprechungen in die Schlagzeolen drängen, scheint auf anderen die flächendeckende Elektrifizierung des Individualverkehrs unmittelbar bevorzustehen. In diesem Kommentar fasst Matthias Breust seine Eindrücke des Frühjahrs zusammen.

Auf der Terrasse der Humboldt-Box gegenüber des Berliner Doms hatte man beste Aussichten auf die Verkehrssituation in deutschen Großstädten. Am Knick von 'Karl-Liebknechtstraße' und 'Unter den Linden' ging in den Stoßzeiten wenig, aber meist tuckerte der Verkehr vorwiegend fossil über die Schlossbrücke. Immerhin fuhren ständig Busse und Taxis, also öffentliche Verkehrsmittel vorbei. Die einzigen rein elektrischen Fahrzeuge waren C-Zeros von Multicity und i3s von DriveNow - und jede Menge eRoller von Coup und Emmy. Wer auf ein zufällig vorbeikommendes privat finanziertes E-Mobil gewettet hätte, wäre wohl leer ausgegangen. Die BMW Evolution von BSM-Vorstand Ruschmeyer hätte z.B. nicht gezählt.

Die 'Intercharge Conference' - vom BSM-Mitglied Hubject GmbH in der Humboldtbox organisiert - vermittelte den Eindruck, als warteten Tausende Kunden auf Services rund um das Laden elektrischer Fahrzeuge. Alle möglichen Unternehmen aus der ganzen Welt waren gekommen, um sich einen imaginären Kuchen zu teilen. Besonders augenfällig warn die Momente, in denen Konkurrenzangebote diskutiert wurden: alles sehr sachlich, fast akademisch. Die Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamtes sind aber ernüchternd; wenn die Tageszulassungen von Autos für den Export nach Norwegen berücksichtigt würden, sähe die Realität.noch trüber aus. Wer also soll die Angebote wahrnehmen z.B. von Chargepoint, einem Unternehmen, dass Ost- und Westküste der USA mit Ladeinfrastruktur incl. Back-End bestückt hat? Mit vielen Produkten muss man naturgemäß in Vorleistung gehen. Aber irgendwann muss sich auch bei Mennekes ein 'return on investment' einstellen, sonst wendet man sich anderen Feldern zu.

Der oberste Lobbyist der deutschen Automobil-Industrie, VDA-Chef Matthias Wissmann, prahlte beim E-Mobility Summit des Berliner 'Tagesspiegel' von den vielen lieferbaren elektrischen Fahrzeugen aus deutscher Produktion. Der Teufel steckt auch hier im Detail. Das meistverkaufte Modell war der eSmart, der in der Öffentlichkeitsarbeit des Daimler-Konzerns überhaupt nicht vorkommt. Die Nachfrage nach den Street-Scootern und sogar dem vom gleichen Hersteller nur angekündigten e.Go lächeln die OEMs weg. Als bei der IKE 2013 eine Bestandsaufnahme gefordert war, veröffentlichte der VDA ein doppelseitiges DinA4-Blatt. Darauf verloren sich 16 Fahrzeuge mit Bild und Typenbezeichnung, sonst nichts. Einige sind bis heute nicht erhältlich, für andere wurde nicht mal ein Foto aufgetrieben. Das Wort Armutszeugnis hätte dafür erfunden werden müssen.

In der Humboldt-Box stand VW-Stratege Dr. Thomas Sedran Rede und Antwort zu den Plänen seines Konzerns. Aus der Ankündigung von Volkswagen, bis 2020 mit 30 verschiedenen BEVs und Hybriden an den Markt zu gehen, wurde aktuell eine neue Versprechung mit 100 Modellen - bis 2030. Wir sind gespannt, wie weit VW dann gekommen sein wird. Als Frankfurt-Fan war ich vom sportlichen Ausgang des DFB-Finales im Berliner Olympiastadion zwar enttäuscht. Immerhin aber warb VW dort intensiv für seinen neuen eGolf, und das war vor Ort die einzige Pkw-Werbung. Noch schöner war nur das achtminütige (!) Pfeifkonzert während des Helene-Fischer-Gigs, das dem TV-Publikum allerdings erspart blieb.

Der schwarze Peter für die mangelnde Nachfrage nach elektrischen Fahrzeugen läge naürlich nicht bei den OEMs und ihren verzweifelten Versuchen, das überkommene Geschäftsmodell zu retten: "Hemmschuh ist die fehlende Ladeinfrastruktur" bemängeln Wissmann und andere Industrievertreter. Nun lässt der Ausbau des Netzes tatsächlich noch zu wünschen übrig. Mit mehr sichtbaren Ladepunkten stiege auch das Vertrauen in diese Technologie. In der Praxis relativiert sich dieser Ansatz häufig, wenn gerade die angefahrende Ladestation mangels Funktion, Ladekarte oder -standard keinen Strom liefert oder zugeparkt oder besetzt ist. Aber meiner Meinung nach verkaufen die OEMs keine E-Mobile, weil sie kein Interesse daran haben. Die reparaturanfällige Technik der rollenden Heizungen verschafft Tausenden Menschen Beschäftigung. Man stelle sich vor, eine zuverlässige ausentwickelte saubere Technik macht dieses Geflecht überflüssig. Der "Kraftstoff" Strom wäre home-made, die Städte leise und ihre Luft sauber.

Aber das Potential für das elektrische Auto liegt nicht so sehr bei überlandfahrenden Außendienstlern, für die die meisten Pkw gemacht scheinen. Im Fokus sollten vielmehr private Inhaber einer PV-Anlage mit überschüssigem Strom stehen, oder Flottenbetreiber von Kurier- oder Pflegediensten, Handwerksbetriebe, Notfallservices u.ä.

Ein anderer Aspekt wurde beim Summit von Matthias Machnig beleuchtet, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Ohne eigene Batterieproduktion sei Deutschland nicht konkurrenzfähig. Dies hatte Franz Loogen für die emobilBW bereits auf dem BSM-Forum der MobiliTec 2013 festgestellt. Immerhin liegt der größte Teil der Wertschöpfung im Akku, dessen Wert ein Drittel des Fahrzeugs ausmacht.

Die Berliner Agentur für Elektromobilität veranstaltet jedes Jahr eine Hauptstadtkonferenz. In diesem Jahr fiel auf, dass sich viele Unternehmen zum wiederholten Male präsentierten. Also gibt es erfolgreiche Geschäftsmodelle. All diese Unternehmen vertreiben ihre Produkte international oder dürfen noch als Start-Ups durchgehen. Trotzdem verbessert sich das Geschäftsklima allmählich. Ein interessanter Beitrag kam von Robert Henrich, der die VW-Tochter MOIA vertrat: "Das Problem urbaner Mobilität sind die leeren Sitze in den Autos." Die Lösung ist Ride-Sharing, vulgo Fahrgemeinschaft. Sein Konzern verspricht attraktive Fahrzeuge für diese Nutzung anzubieten. Da frage ich mich, ob wirklich jemand Fremde in seinen schnieken nagelneuen eBuddy sitzen lässt, oder ob das Interieur hierfür ausgesprochen robust und pflegeleicht gestaltet wird... Am Nachmittag antwortete der Klimaforscher Prof. Volker Quaschnig eindeutig: "Alles geht viel zu langsam." Die derzeitigen Fortschritte bei der Reduktion von THG-Emissionen sind nicht einmal entfernt geeignet, den drohenden Kollaps der Atmospäre abzuwenden.

Besonders bezeichnend ist eine eigentlich jährliche Konferenz, die gar nicht mehr stattfindet. Mit der "Internationalen Konferenz Elektromobilität" im Jahre 2013 wollte die Bundesregierung den Stand der Dinge bilanzieren. 2015 war es noch eine "nationale" Konferenz, zu der immerhin Kanzlerin und Wirtschaftsminister erschienen - und die noch machtvollere Demonstration der Tesla-Freunde vor der Tür des bcc wichtigstes Thema war. Bei der "Ideen- und Fachkonferenz" 2016 gab es nur Stillstand der Dinge zu konstatieren, so dass das Motto "Elektroauto - Extravaganz für wenige oder automobile Normalität der Zukunft" noch der größte Aufreger war. Wurden die vielen Milliarden Förderung im Schaufenster etwa in einer Champagnerlaune vergeben?

Dieses Jahr jedenfalls fand keine Konferenz statt. Zwischendurch kassiert die Bundeskanzlerin das 2011 ausgegebene Ziel von einer Million Fahrzeuge bis 2020. Ansonsten ist die Regierung zu beschäftigt in China um Nachsicht zu betteln. Der Ex-Wirtschafts- und nunmehrige Außenminister Sigmar Gabriel verkauft es als Erfolg, dass die strengen Regeln für Kfz-Lieferanten auf dem chinesischen Markt (Anteil 2% BEV bzw. 4% PHEV an gesamtem Pkw-Verkauf) erst ein Jahr später als geplant, also 2019 greifen. Nach den bisherigen Fortschritten der deutschen OEMs erscheint selbst das zu früh.

Der BSM ist schon etwas weiter Richtung nachhaltige Mobilität vorgerückt und unterstützt z.B. Ziele des Umweltministeriums und des UBA, die Zahl der Autos in Städten drastisch zu verringern - ganz unabhängig vom Antrieb. Aber selbstverständlich muss der verbleibende motorisierte Verkehr ausnahmslos elektrisch betrieben werden, wenn die Klimaschutzziele auch dieser Bundesregierung eingehalten werden sollen.

Zu den Vorschlägen, die im Berliner Senat zur Verringerung verkehrsbedingter Emssionen diskutiert werden, gehört die Sperrung von 'Unter den Linden' für den Pkw-Verkehr. Dann hätte man aus der Humboldtbox einen Blick auf die Zukunft der Stadt, die gleichzeitig ihre Vergangenheit ist. Schon der Kaiser Wilhelm II. wollte weder Autos ("Gestank") noch Straßenbahn ("Oberleitung") auf seiner Paradestrecke. Sein Schloss kommt zurück, warum nicht auch seinem Beispiel folgen und einfach mal elektrische Autos anschaffen?