Direkt zum Inhalt | Direkt zur Navigation

Benutzerspezifische Werkzeuge

Sektionen

Sie sind hier: Startseite / Nachrichten / Volksentscheid Fahrrad in der Diskussion

Volksentscheid Fahrrad in der Diskussion

Der Volksentscheid Fahrrad wurde bei einer Veranstaltung des Tagesspiegel in Berlin zur Diskussion gestellt. Neben dem Initiator Heinrich Strößenreuther und dem zuständigen Senator Andreas Geisel kamen Interessenvertreter anderer Verkehrsträger wie ADAC, FUSS e.V. und dem Fahrgastverband IGEB zu Wort.

von Matthias Breust

Es scheint ein hitziger Kampf zwischen Fußgängern, Radlern, Autofahrern und ÖPNV-Nutzern. Nicht nur auf der Straße, wo um den wenigen verfügbaren Platz gestritten wird, sondern auch um Anerkennung, Unterstützung - und Geld. Die Positionen schienen an diesem Mittwoch im Juni 2016 weiterhin verhärtet, obwohl besonders der ADAC-Vorstand Volker Krane (links) und der Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD, 3. von rechts) recht aufgeschlossen und entgegenkommend auftraten.

Der Tagesspiegel hat in sein Verlagshaus geladen, dessen Fahrradständer für die zahlreichen Besucher nicht ausreichten. Die Dominanz der Zweiradfahrer im Saal genoss Heinrich Strößenreuther, der die Initiative Fahrrad-Volksbegehren leitet.  Die Zahlen sprechen für seine Initiative: Der Radverkehr verursacht keinerlei schädliche Emissionen, ein Fahrrad benöigt nur 2 qm Raum gegenüber nur 3,- EUR pro Berliner jährlich gibt der Senat für den Radverkehr aus, aber 50,- EUR für Autoverkehr - und 300,- EUR für den ÖPNV. Jens Wieseke (2. von rechts) vom Fahrgastverband IGEB musste daher schon mal an den 1.12.2010 erinnern, um die Bedeutung des ÖPNV zu illustrieren. Die Fahrgastzahlen stiegen an diesem Tag rasant in die Höhe, weil ein Schneesturm angekündigt war.

Strößenreuther brauchte keine Querverweise aus dem Katastrophenregister. "Für den Radverkehr reserviert sind 3% der verfügbaren Flächen, während der Autoverkehr über 60% verfügt, obwohl sein Anteil am Verkehr nur 30% ausmacht." Da pflichtete Senator Geisel dem Wirtschaftsinformatiker bei. Dem Autoverkehr stehe im Vergleich zu seinem Anteil von 30% am Modal Split (Anzahl der Fahrten) zu viel Fläche zu. Diese Zahl korrigierte der ADAC-Vertreter sogleich auf über 40%, wenn man Personenkilometer zugrunde legt.

 

Bruderfehde
Erbitterter Einspruch kam vom Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND, der sich der Kampagne nicht anschloss, weil sie kein integriertes Konzept anböte. Hier musste Strößenreuther dem BUND-Verkehrsreferenten Martin Schlegel erklären, dass in dem Gesetz durchaus Soll-Vorschriften die Öffnung für weitere Prioritäten und Wertungen zulassen. Außerdem gelte es den Autoverkehr einzudämmen, dessen Interessen jahrzehntelang im Vordergund standen.

Das Radgesetz
Der Volksentscheid soll das Berliner Abgeordnetenhaus verpflichten, sich mit dem vorgeschlagenen Gesetz zu befassen. Es kann auch Änderungen vornehmen oder ein ganz neues Gesetz formulieren, darf aber den zu regelnden Sachverhalt nicht ignorieren. Die Initiative für das "Gesetz zur Förderung des Radverkehrs in Berlin (RadG)" aber kann nun keine Änderungen mehr vornehmen. Daher hat man vorher versucht, alle relevanten Kräfte zur Mitarbeit zu bewegen. Dem hat sich der BUND verweigert, nicht aber FUSS e.V. und BVG. Damit sind die Interessen der Fußgänger und des ÖPNV berücksichtigt.

Gängelei
Das integrierte Konzept wird allerdings auch vom ADAC gefordert, der den MIV immer weiter "beschnitten und behindert" sieht. Die ständige Gängelei der Autofahrer müsse aufhören.

Geisel zeigte sich durchaus dankbar für den Druck, den der Volksentscheid auf das Berliner Parlament ausübt. Der Senat bemühe sich seit längerer Zeit um Verbesserungen. Es fehle an Planern, die konkrete Baumaßnahmen vorbereiten. Deshalb würde das vorgesehen Budget zum Ausbau des Radwegenetzes auch nicht ausgeschöpft. Der Stadtentwicklungssenator

In der Diskussion mit den Besuchern wurden zahlreiche Einzelfälle angesprochen wie die kürzlich umgestaltete Schlossstraße oder die Situation Leipziger zwischen Friedrich- und Ebertstraße, wo kein Radweg existiert. Eine Fahrradsteuer wurde ebenso vorgeschlagen wie Kennzeichnungsflicht für alle Zweiräder. Stefan Lieb vom Fußgängerverband FUSS e.V. lehnte das ab. Sein Verband fordert strikte Trennung von Fuß- und Radwegen. Die geforderten Querschnitte sollten mal einem Reality-Check unterzogen werden. Draußen am Askanischen Platz finden all diese Spuren keinen Platz.

Ein Aspekt kam aber nicht vor. Es gibt nach meiner Ansicht weder "die Radfahrer" noch "die Autofahrer" noch "die Fußgänger". Diese Gruppe sind ebenso disparat wie überlappend. Wenn z.B. der SUV-Fahrer vom Parkplatz noch ein paar Hundert Meter zum Zielort gehen muss. Der S-Pedelec-Pilot ist anders unterwegs als die Fahrrad-Rikscha, der Tourist im Lada anders als der Chauffeur des Konzernvorstands, die Rollator-Gang anders als die Business-Luncher. Wenn nun jeder existierende oder künftige Verkehrsträger ab einem bestimmten Aufkommen seine eigene Verkehrszone erhalten soll, wird es eng auf dem Asphalt. Schon jetzt ist an großen Kreuzungen die Kennzeichnung von eigenen Richtungsspuren für Autos und Fahrräder derart durchdacht, dass einige Verkehrsteilnehmer sie nicht verstehen. Und die komplizierten Busspur-Hinweise im Schöneberger Teil der Potsdamer Straße genießen überregionale Berühmtheit. Für die Lektüre sollte man im Stau stehen, wofür wiederum die Chancen jederzeit gut stehen.

Ein Vorschlag im Ringen um ein integriertes Konzept mag zwar maximal-invasiv sein, würde Berlin mittelfristig viel Geld sparen und massiv zu seiner Berühmtheit beitragen: 'Shared Space'. Keine Schilder, keine Ampeln, keine Schutzzonen, keine Linien. Jeder muss darauf achten, die anderen nicht zu behindern oder verletzen. Klingt verrückt.

LINKS:
Portrait des Fahrrad-Aktivisten Strößenreuther auf zeit-online

Video zur Radverkehrspolitik in Berlin