Wer wie in die Stadt kommt
Am 21.09.2015 haben das BSM-Mitglied Prof. Weert Canzler und einige Autoren der Studie "Towards New Urban Mobility" ihre Ergebnisse in Berlin präsentiert. Ausgangsfrage der Studie war, mit welchen Maßnahmen das Mobilitätsverhalten in Ballungsräumen beeinflusst werden kann. Dazu haben die Wissenschaftler in Umfragen Mobilitätstypen und deren Prioritäten bei der Wahl von Verkehrsträgern herausgearbeitet. Aus diesen Ergebnissen entwickelten Dr. Michael Hoffmann vom InnoZ und Philipp Rode von LSE Cities eine Übersicht von "Policy Implications", mit denen diese einzelnen Gruppen jeweils erreicht werden können.
Die Fahrt zur Arbeit im eigenen Pkw wird immer seltener. In Berlin verfügen nur 60% der Haushalte über (mindestens) ein Auto. Dieser niedrigste Wert in Deutschland wird von Inner London mit 45% sogar unterboten. In der englischen Hauptstadt nimmt die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel immer mehr zu, während in Berlin viele auf das Fahrrad umsteigen. Daran hindert die Londoner vor allem die mangelnde Sicherheit, so die Autoren.
Mehr Platz für Fahrräder
Mit dem Ausbau des Radwegenetzes hat Berlin - bei aller Kritik im Detail - offenbar beigetragen zur Veränderung des Modal Split, der Verteilung der anfallenden Wege auf die verfügbaren Verkehrsträger. In der anschließenden Diskussion wies Dr. Friedemann Kunst, unter Klaus Wowereit im Senat für Stadtentwicklung für den Bereich Verkehr verantwortlich, denn auch auf die Leistungen Berlins hin. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen stünden im Stadtentwicklungsplan Verkehr. Leider seien aber die Ressourcen begrenzt. Dieser Einlassung wurde aus dem Plenum erwidert, dass die gesellschaftlichen Kosten der einzelnen Verkehrsträger noch kaum sauber und ehrlich berechnet wurden.
Das Publikum im WBZ (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung) am Reichpietschufer gehörte, wie eine Abfrage von Michael Hoffmann zur App-Nutzung und Varianz bei der Verkehrsmitttelwahl ergab, zu der aufgeschlossensten Gruppe "innovative access-oriented", die nur zu gern bereit sind, neue Verkehrsmittel oder Dienstleistungen auszuprobieren. Am stärksten der Routine verhafted sind dagegen die "traditional car-oriented", die folgerichtig den Wohnsitz so gewählt haben, dass sie auf das Auto angewiesen bleiben. Dort könnte die Elektromobilität ein guter Weg zur Verringerung der Schadstoff-Emissionen sein.
In der Studie wurden insgesamt sechs Gruppen identifiziert. In Abgrenzung zu vielen anderen Untersuchungen haben LSE und InnoZ die Klassifizierung nicht auf das reine Mobilitätsverhalten beschränkt, sondern die Affinität zu Technik, Lebensstil und anderen soziologischen Faktoren einbezogen. Dadurch warf die Untersuchung einige Wechselbeziehungen ab, mit denen die Wissenschaftler nicht gerechnet hatten. Die Verhaltenstypen in Berlin und London ähnelten sich z.B. weit stärker als angenommen. Auch wird die Bedeutung der Klimafreundlichkeit überschätzt, vielleicht weil der Umweltschutzgedanke mittlerweile im Mainstream angekommen ist.
In seinem Resumee regte Weert Canzler einige weitergehende Fragen an, die in dieser Studie nicht beantwortet werden konnten. Das gemeinsam mit Prof. Andreas Knie propagierte Instrument der Parkplatzverknappung vermisste Canzler in der Studie, wie auch die Wechselwirkungen und Kombinationen der Policy Implications noch zu untersuchen wären. Der Stellenwert des Pkw verhindere bis heute eine ehrliche Gegenüberstellung von Kostenstruktur und Kostenwahrnehmung. An den Reaktionen auf die Mitfahr-App 'Uber' habe sich gezeigt, wo die Interessen und Prioritäten der Beteiligten liegen. Überhaupt dürfe man bei allen positiven Einsichten das Beharrungsvermögen der Entscheider und Meinungsmacher nicht unterschätzen.
Die Studie hat aber auch für den BSM einige interessante Umstände zutage gefördert, die für künftige nachhaltige Mobilitätskonzepte höchst instruktiv sind. Die Entwicklung der untersuchten Städte macht vor allem Hoffnung auf weiter sinkende Anteile des MIV am modall split.