Multimodale Mobilität funktioniert auch in Fahrschulen
von Matthias Breust (Text und Fotos)
"Nichts ist im Kopf, das nicht vorher in den Sinnen war" zitierte Michael Walk (Fahrschule Verkehr human) eine alte Weisheit von Thomas von Aquin. Und so wurde es laut, als der Verkehrslärm der Hermannstraße in Neukölln, Berlin, eingespielt wurde, und mulmig, als sein Kollege Lothar Taubert (Fahrschule Innovative Mobilität, Foto unten rechts) einen riesigen Ballon mit Pkw-Abgasen vorführte. Derart bunt und abwechslungsreich wirkten Theorie und Praxis einer zukunftsweisenden Fahrschule am 27. November auf dem EUREF Campus durchweg – als die Partner des „Mobilitätsschule - Schaufenster Elektromobilität“- Projekts sich der Öffentlichkeit vorstellten und einen Einblick in den zukünftigen Theorieunterricht einer Fahrschule gaben. Mit Elektrofahrzeug und Pedelec. Bis hin zu Antistress-Bällen, blauen und roten Holzpuppen, mit viel Begeisterung und einem Lamento eines Begrüssungsredners.
Aus der Idee in Fahrschulen den Umgang mit elektrischen Fahrzeugen und insgesamt einer multi-modaleren Mobilität zu lehren, hatte der BSM mit den Projektpartnern von der TU Berlin und der Fahrschule Verkehr human eine Projektskizze entwickelt. Nach der erfolgreichen Bewerbung 2012 im Schaufenster Elektromobilität Berlin-Brandenburg begannen die Projektpartner das Konzept einer multimodalen Fahrschulausbildung umzusetzen nach Bewilligung der Fördermittel im Juni 2013.
Begrüßungen
Bettina Deckart von der eMo-Berliner Agentur für Elektromobilität, für die Koordination der Schaufensterprojekte Elektromobilität zuständig, begrüßte die Anwesenden mit einer inhaltlichen Einordnung der dem Bereich Aus-und Fortbildung zugeordneten "Mobilitätsschule". Der BSM-Vorsitzende Thomic Ruschmeyer freute sich über die Chance zur Verbreitung der vielfältigen Mobilitätserfahrungen, die er und der BSM insgesamt in 25 Jahren angesammelt haben.
Zugleich erhob der BSM-Vorsitzende die politische Forderung nach einem 42 Mio. Euro schweren 'Multi-Modalitäts-Paket' für rund 1.200 Fahrschulen Deutschlands (mehr dazu hier...). Sein Stellvertreter im BSM-Vorstand, Andreas-Michael Reinhardt, führte als Projektleiter ‚Mobilitätsschule‘ in die einzelnen Bestandteile des ‘Schaufensters Fahrschule‘ ein und stellte die Akteure jeweils im Verlauf der Präsentation vor.
Neue Unterrichtsinhalte
In der Fahrschule ‘Verkehr human‘ finden die ersten Theorieeinheiten zum Thema Multimodale Mobilität bereits statt. Den Ansatz "Alle meine Wege" des ‘Unterrichtsmoduls T1‘ stellte Hans-Otto Bremer vor: Jeder Teilnehmer wird aufgefordert, seine Wege des Vortages aufzulisten. Wo und wie man gestern unterwegs war, fällt vielen schon schwer zu beantworten. Gänzlich fehlten laut Bremer oft die zu Fuß zurückgelegten Wege, weil sie gar nicht als Bestandteil von Mobilität wahrgenommen werden. Dieser Teil des Fahrschulunterrichts wurde im Projekt auch greifbar gemacht mit Figurinen, bei denen in jedem Fußgänger auch ein Fahrgast im ÖPNV, ein Radfahrer und der Nutzer eines Car-Sharing Angebots z.B. steckt. Oder der Fahrer eines eigenen Pkw, wie es das Idealbild der bisherigen Fahrschulausbildung vorsieht bzw. vermittelt.
Die Fünfkampf-Olympiasiegerin Lena Schöneborn (Foto unten links) demonstrierte an den Mobilitätsschule-Figurinen (eine Holzpuppen-Weltpremiere!) ihren normalen Montag. Dabei stellte sie fest, dass sie einige Ansprüche an die Nachhaltigkeit der Mobilität bereits erfüllt, wenn sie in einer Fahrgemeinschaft unterwegs ist oder das Rad nutzt. Aber es gibt durchaus noch Luft nach oben, wie sich an den roten Benzin-Figurinen in der 'Mobilitätskette' vor ihr zeigte.
Der Vorsitzende des Berliner Fahrlehrerverbands Peter Glowalla (Foto unten rechts) fährt nach eigenen Angaben auch lieber mit der Bahn. In seinem Abriss zur Zukunft der Fahrschulen merkte er an, dass selbst Fahrlehrer lernen müssen, mit einem zum Beispiel mit einem modernen Park-Assistenten umzugehen. Diese Assistenten im Pkw machen die Fahrausbildung jedenfalls nicht überflüssig, sondern erfordern andere Kompetenzen. Die Änderungen der Lehrpläne seien laut Glowalla nur sehr schwer durchzusetzen. Zum Beispiel werde immer noch im Führerschein vermerkt, dass eine Prüfung im Automatikwagen abgelegt wurde und deshalb die Fahrerlaubnis nicht für Schaltwagen gelte. Dabei sei ein Zusammenhang mit den Fahrleistungen des Führerscheinbesitzers bis heute nicht nachgewiesen ...
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v.l.n.r.: Antistressbälle, Peter Glowalla (flv Berlin)
Begleitforschung
Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts leistet das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin. Unter den Augen auch Prof. Oliver Schwedes legte Ingo Kollosche dar, was die Forscher sich von dem Projekt versprechen, für das sie ihr in einem anderen vom Bund geförderten Projekt erstellte Szenario „E-MOBILITY 2025“ heranzogen (Foto oben links). Sein Kollege Eckard Schenk fasste erste Ergebnisse der Umfragen zusammen, die Fahrschüler/innen bei Beginn der Mobilitätsausbildung der TU Berlin beantworten. Besonders interessant - beim gegenwärtigen Stand der Untersuchung - ist die Prägung, mit der die Menschen an die Ausbildung herangehen. Es zeigt sich, dass bisherige Gewohnheiten fortgeschrieben werden. Wer immer im Auto mitgenommen wurde, will auch ein eigenes Auto führen lernen. Am Rande der Veranstaltung ergänzte Lothar Taubert, dass diese Prägung tatsächlich mit etwa 14 Jahren abgeschlossen ist. Daher sei es umso wichtiger, den Ansatz einer umfassenderen Multimodalitäts-Mobilitätsausbildung auch in die Schulen zu tragen.
Den „Ballon des Elektromobils“ – als Pendant zum „CO2-Sack“ – präsentierte Lothar Taubert auch. Dieser hing schlaff herab. Keine unmittelbare CO2-Emission. Das Bild einer ‚schlaffen Elektromobilität‘ vermittelte zur Begrüßung der Veranstaltung auch Prof. Dr. Andreas Knie, Geschäftsführer des InnoZ. Er kritisierte, dass der politische Wille fehle, klare Ziele zu benennen und den Rahmen auch anspruchsvoll zu setzen für notwendige und längst überfällige Entscheidungen in der Klima- und Verkehrspolitik. Auch trete die NPE (Nationale Plattform Elektromobilität) seit zwei Jahren auf der Stelle.
Seine pessimistischen Ausführungen waren zum Glück vergessen, als der Schweizer „WAVE TROPHY“-Director Louis Palmer beim abschließenden Panel von den positiven Reaktionen berichtete, die sein Solartaxi überall auf der Welt seinerzeit 2007/8 ausgelöst hat: "In jedem Land, in Saudi-Arabien wie in China, und aus jedem Auto, ob Ferrari oder Trabant, gab es nur Daumen hoch für mein solar-elektrisches Auto, auch wenn ich damals eher ein rollendes Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer war!"
Das Fazit des Abend fasste Andreas-Michael Reinhardt (Foto rechts) so zusammen: „Die Mobilitätsschule ist auf dem Weg anschaulich aufzuzeigen, dass Eigen-Motivation für die alltägliche Mobilität entstehen kann und hilft, sich insgesamt differenzierter zu entscheiden für die täglichen Wege. Die Menschen lernen zu verstehen und handeln, dass Mobilität mehr ist als Autoverkehr und dass es zu ihrem Vorteil ist, mehrere Verkehrsangebote im Alltag zu nutzen! Die Fahrlehrer/innen sind hierfür beispielgebende Mentoren, wie es sich zeigt!“
Über das Projekt Mobilitätsschule
Mit der Kreuzberger Fahrschule 'Verkehr human‘ und drei Fahrlehrern fing es an. Das Projekt ‚Mobilitätschule‘ (offiziell „G3-EFFF – Fahrschule Elektromobilität") von BSM und dem Fachbereich Integrierte Verkehrsplanung der TZ Berlin wird im ‚Internationalen Schaufenster Elektromobilität Berlin-Brandenburg' gefördert. "EFFF" steht für Elektromobilität für Fahrlehrer, Fahrschüler und Flottenmanager, "G 3" steht für 3. Bildungsprojekt 'G' im eMo-Verzeichnis. Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und koordiniert von der eMo - Agentur für Elektromobilität. Zu den ursprünglichen Projektpartnern kamen zwei zwischenzeitlich eingeworbene assoziierte Partner, die Fahrschulen ‚inno.M‘ und ‚Rudi’s Fahrschule‘ in Berlin mit nunmehr zehn statt vier bisher ausgebildeten Fahrlehrer/innen und inzwischen rund 120 Führerscheinbewerberinnen.
Das zum Februar 2013 bewilligte Förderprojekt wird zum Sommer 2015 die Theorie-Module (T1 und T2) und die Fahrpraxis-Module (P1 und P2) der Öffentlichkeit vorstellen. Dann erfolgt auch der Bericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. Danach stellt sich die Berliner Mobilitätsschule bei Verbänden und auf Tagungen in Deutschland vor.