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Tesla und VW setzen Deutschland unter Strom | BSM-Rückblick auf 2019

Im vergangenen Jahr 2019 hat sich viel getan im Bereich nachhaltiger Mobilität. Zahlreiche verkehrspolitische Maßnahmen bewegten die Öffentlichkeit, die Elektromobilität sorgte nebenbei für verbreitete Sachkenntnis zur Nachhaltigkeit von Industrieprodukten, und mit der Ansiedlung von Tesla nahe Berlin und dem Stellenabbau bei Audi bricht nicht weniger als ein neues Zeitalter an. Ein Rückblick aus der Sicht des BSM von Matthias Breust und Thomic Ruschmeyer.

von Matthias Breust (Text+Fotos) und Thomic Ruschmeyer

Zu Beginn des Jahres 2019 ist der BSM zurückgekehrt in das Herz der Hauptstadt. Mit dem Einzug beim BWE ist das Hauptstadt-Büro des 1989 gegründeten Verbands nicht nur wieder näher an das politische Geschehen gerückt, sondern wurde von dem BWE mit offenen Armen empfangen. Nach dem Aus für das InnoZ, wo der BSM seit 2017 residiert hatte nach knapp 10 Jahren in der Wilhelmstraße, nahm der BSM seine Arbeit auf zum Start in ein aufregendes Jahr, an dessen Ende die Elektromobilität, Nachhaltigkeit in der Mobilität und der Klimaschutz insgesamt völlig neue Stellenwerte erhielten.

Die Zusammenarbeit mit der Branche der Erneuerbaren Energie, besonders mit dem BEE war auch in 2019 sehr fruchtbar, trotzdem einige organisatorische Anpassungen vorzunehmen waren. Im BEE-Fachausschuss Mobilität wurden im regen Austausch der beteiligten EE-Verbände aktuelle politische und technische Entwicklungen bearbeitet und politische Empfehlungen und Stellungnahmen entwickelt. Der BSM sieht dem Einzug in ein gemeinsames Haus auf dem EUREF-Campus jedenfalls mit froher Erwartung entgegen.

Die Erklärung des Volkswagen-Vorstands Herbert Diess bei der Bilanzpressekonferenz Anfang März, man werde sich im Konzern künftig ganz auf batterie-elektrische Fahrzeuge (battery-electric vehicles - BEVs) konzentrieren, schlug hohe Wellen. Die Begründung, die VW für diese Neuausrichtung gab, enthält viele der Argumente, die der BSM seit drei Jahrzehnten verwendet. Umso mehr verwunderte die Klage des VW-Chefs über "mangelnde politische Unterstützung".

Der Rest der Automobil-Branche betrachtet diese Festlegung noch heute skeptisch. Zwar bemühen sich alle Hersteller um ein attraktives Portfolio an BEVs, wozu sie schon zur Einhaltung von Flottengrenzwerte der EU gezwungen sind. Aber man forscht umso intensiver an Brennstoffzelle und "syn-fuels" (synthetische Kraftstoffe), mit denen das bestehende Verteilsystem - die Ausgabe an Tankstellen - erhalten bliebe. Aus Sicht der Erneuerbaren erinnern wir stets daran, dass für die Brennstoffzelle dreimal soviel Primärenergie notwendig ist wie für eine batterieelektrische Technik. Bildlich gesprochen also dreimal soviel Windräder. Die OEMs schaffen sogar ihre batterie-elektrischen Fahrzeuge in Misskredit zu bringen, indem sie nur hochpreisige und ineffiziente Luxuskarossen anbieten, die sie vor allem mit High Power Charging versorgen wollen. Um Ausbau, Anschluss, Versorgung und Betrieb der hierzu notwendigen überdimensionierte Ladeinfrastruktur sollen sich andere kümmern.

Bei denjenigen in Politik, Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, die in der Elektromobilität die einzig sinnvolle Technologie sehen, mit der individuelle motorisierte Mobilität angesichts der notwendigen Dekarbonisierung möglich bleibt, war dagegen bei der VW-Strategie der Seufzer der Erleichterung unüberhörbar. Beim Genfer Autosalon (GIMS) standen bereits viele elektrische Autos auf Augenhöhe zwischen den Hochglanzkarossen, und die IAA in Frankfurt markierte insofern eine Trendwende auch für die deutschen Hersteller. Beide Messen zeigten aber auch die Erosion des Geschäftsmodells "Pkw-Verkauf an privat". Die Auslastung der Flächen sinkt, bei der IAA blieben schon ganze Hallen geschlossen.

Der BSM präsentierte auf der Hannovermesse im April diverse Lösungen, die den CO2-Ausstoß des Verkehrssektors verringern helfen. Der elektrische Antrieb allein ist dabei kaum noch von besonderem Interesse, er darf als gesetzt betrachtet werden, auch wenn er in einem VW T6 Doka steckt.

Spannend sind vor allem kleine und kleinste Fahrzeugkonzepte wie die z.B. eScooter und eSkateboards, die im Frühling nicht einmal für die Nutzung im Verkehr zugelassen waren. Nach dem Inkrafttreten der "Elektrokleinstfahrzeugeverordnung" (eKFV) starteten verschiedene Firmen in mehreren deutschen Großstädten mit dem Verleih von eScootern. Da sich diese Angebote überwiegend in der Freizeit oder von  Touristen genutzt werden, überwiegt der negative Eindruck kurzlebiger und schlecht behandelter Produkte. Gemeinsam mit dem Anfang 2019 neu gegründeten Nutzerverband EEBE arbeitet der BSM daran mit, diese Formen der Elektromobilität angemessen zu bewerten.

Auch Wechsel-Akku-Systeme könnten eine Rolle bei der Dekarbonisierung des Verkehrs spielen, zumindest in Lastenrädern, eRollern und anderen Zwei- und Dreirädern. Allerdings wären durchaus auch Anwendungen in kleineren Pkw oder zur Ergänzung und ad-hoc-Vergrößerung der Reichweite denkbar.

Auch bei den Münchner Messen Power2Drive im Rahmen der "Smarter E" im Mai und auf der eMove 360° im Oktober richtete der BSM Gemeinschaftsstände aus und arbeitete mit an der Gestaltung der Foren.

Technische Entwicklungen in der Elektromobilität gehen einher mit dem wachsenden Bedürfnis urbaner Bezirke, weniger Raum für das Auto vorzuhalten als bisher. Im Laufe dieses Jahres haben sich weitere Initiativen und Zusammenschlüsse gebildet, die den interessierten Kommunen die Auswahl und Umsetzung verkehrlicher Maßnahmen erleichtern wollen. Dabei geht es nicht nur um Erstellung und Einhaltung von Luftreinhaltungsplänen, wo bereits beim Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge eine bundespolitische umfassende Strategie weiterhin fehlt. Viele andere Sorgen um Sicherheit, Platz und Aufenthaltsqualität könnten sich lösen, wenn das Auto aus der Stadt verbannt wird.

Der BSM hat wiederholt auf diese Zusammenhänge hingewiesen, und jeder Tag, an dem nichts unternommen wird, macht wirksame Maßnahmen dringlicher - und drastischer. Für die Automobilhersteller (OEMs) steht damit nicht nur eine Konversion auf elektrischen Antrieb zu befürchten, die bereits milliardenschwere Investitionen erfordert. Sie stellen sich allmählich auf eine umfassende Transformation der Mobilität ein. Der Verbrennungsmotor wird bald nur noch ein Aspekt unter vielen sein, aus denen dem Pkw nicht mehr grundsätzlich überall Zufahrt gewährt wird. Bei vielen Städten Europas ist das Einfahrverbot für Verbrenner nicht mehr weit entfernt. Einige unserer Nachbarstaaten haben Ähnliches angekündigt.

Überhaupt kommt der Druck auf die OEMs zur Einhaltung von Umweltstandards eher von der EU, wo ihr politischer Einfluss geringer ist. Wenn nun im nächsten Jahr die Verkaufszahlen steigen werden, dann vornehmlich wegen der drohenden Strafzahlungen. Die Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoff-Emsissionen wird dann nicht mehr nach angebotenen, sondern nach verkauften Fahrzeugen beurteilt. Der BSM ist seit einigen Jahren der deutsche Vertreter bei AVERE, der europäischen Organisation nationaler Elektromobil-Verbände. Bei dem Besuch des EVS 32 in Lyon wurde diese Mitgliedschaft mit neuem Leben gefüllt, und auch AVERE selbst hat in diesem Jahr ein gesteigertes Engagement entwickelt, um als internationaler Verband die angemessene Wirkung zu erzielen.

Ein weiteres internationales Engagement des BSM liegt in der Kooperation mit der WAVE Trophy, eine elektrische Ausfahrt organisiert vom E-Pionier Louis Palmer. Bei diesen Veranstaltungen fungiert der BSM als Jury für die Wettbewerbe, die über den Sieg der Trophy entscheiden. In diesem Jahr gab es zwei Touren, im Juni durch die Schweiz und im September durch Deutschland.

Foto links: bei Leukerbad / unten rechts: Bülach (beide WAVE -CH-)

Die Verkaufszahlen elektrischer Pkw steigen schon jetzt von Quartal zu Quartal. Bereinigt um die Ausschläge wegen der Verhandlungen um die Kaufprämie steigt die Kurve exponentiell. 2018 wurden knapp 37.000 batterie-elektrische Pkw verkauft, was den Bestand auf über 83.000 BEVs fast verdoppelte (Q.: KBA). In diesem Jahr liegt der Zuwachs Stand Oktober bei knapp 53.000, und wenn 2020 die ID-Modelle von VW erhältlich sind, dürfte die Kurve noch steiler werden.

Das Model 3 von Tesla (rechts) wurde im Oktober von der Autobild zum Auto des Jahres gekürt. Bei der Prämierung kündigte Elon Musk an eine Gigafactory in der Nähe Berlin zu bauen. Damit setzte er nach der VW-Erklärung vom März die zweite fette Markierung in diesem Jahr. Plötzlich war die Ansiedlung von E-Autofabriken wieder erfolgreiche Industriepolitik, das chaotische Berlin ein Standortvorteil - und das elektrische Auto ein Hoffnungsträger.

Angesichts dieser Zuwächse lag in diesem Jahr ein besonderes Augenmerk auf dem Aufbau der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur, ohne die eAutos weder für Langstrecken noch für Stadtbewohner interessant sind. Die letzten Treffen der OEMs mit der Bundesregierung wurden von Forderungen nach einer Million Ladepunkten begleitet. Diese Zahl liegt weit über dem Bedarf von 300.000, den die Fachverbände BDEW und BEM in Studien berechnet haben. Durch die umfassende Förderung und das große Interesse in der Wirtschaft gehen wir davon aus, dass die Zahl der Ladepunkte in ausreichendem Maß mit dem Fahrzeugbestand anwächst und so schnell keine Schlangen an den Steckdosen enstehen. Die meisten Elektromobilisten laden weiterhin zu Hause oder am Arbeitsplatz.

Der BSM setzt sich besonders über die AG 5 der "Nationalen Plattform Mobilität" (NPM) für kundenfreundliche Lösungen ein. Dabei sind die Kommunikation der Verfügbarkeit, die Bedienerfreundlichkeit, die Wartungsintervalle und Services, die Angemessenheit der Tarife, die Transparenz der Abrechnung u.a. von Belang. Wesentlicher Input für die NPM-AG war das Forderungspapier "Einfach Laden - einfach Fahren", das ein Runder Tisch erarbeitet hat auf Initiative des Verbraucherzentralen Bundesverband (vzbv) gemeinsam mit dem BSM, dem Bundesverband Carsharing und der IG Elektromobilität Berlin-Brandenburg (IGEMBB).

Mit der wachsenden Nachfrage nach elektrischen Fahrzeugen werden auch Konzepte zur Sektorenkoppelung interessanter. Die Energiewende geht einher mit vielerlei Bedenken ob der Volatilität erneuerbarer Energien. Eine Möglichkeit zur Zwischenspeicherung gewonnener Energie für die nächtliche Flaute wäre die Fahrbatterie eines eMobils. Es existieren bereits Konzepte, die den Anschluss des eAutos an das Versorgungsnetz technisch, wirtschaftlich und rechtlich darstellen. Allerdings lauern überall noch Fallstricke, sei es, dass die eFahrzeuge die gespeicherte Energie nicht zurückspeisen (dürfen), oder dass der Pkw-Eigentümer juristisch zum Stromlieferanten wird. Das Management der dezentralen Einspeisung aus mobilen "Kleinkraftwerken" ist eine weitere Herausforderung.

In den Medien - Zeitungen und Fernsehen ebenso wie in den sozialen Netzwerken - wird der Umweltvorteil des E-Autos immer wieder bezweifelt oder durch die zweifelhafte Gewinnung der Ressourcen relativiert. Der BSM bemüht sich an vielen Stellen um den Abbau dieser Vorurteile, ist sich aber durchaus des Zweispalts bewusst, dass eine industrielle Produktion von Wirtschaftsgütern wie dem Auto nicht ohne den Verbrauch von Ressourcen stattfindet. Es mag zwar seltsam anmuten, wenn Diesel-Fahrer plötzlich Maßstäbe zur Nachhaltigkeit am cradle-to-cradle-Kreislauf messen. Aber so haben sie etwas Wichtiges gelernt.

Auch auf diesem Feld wird Tesla neue Maßstäbe setzen. Die Auswahl des Standorts Grünheide für die Gigafactory wurde wesentlich begünstigt durch die Verfügbarkeit erneuerbarer Energie. Keine Alibi-Mühlen wie vor dem BMW-Werk, für das Grünheide den Bebauungsplan erstellt hatte, das aber nun in Leipzig steht. Damit kommt Tesla dem Ziel näher, neben dem Betrieb auch die Herstellung des eAutos möglichst nachhaltig zu gestalten. Dieser Umstand weist zudem auf die Kernaussage des BSM zurück, wonach Elektromobilität nur sinnvoll ist bei Verwendung zusätzlicher erneuerbarer Energien. Nur dann ist der Betrieb wirklich emissionsfrei, und nur dann kann individuelle Motorisierung Teil einer nachhaltigen Mobilität sein.

Zum Jahresende verdichtete sich im politischen Berlin das „Thema Klima“. Zum Einen alarmierten die Veröffentlichungen von ICCT, UBA u.a. mit Bestandsaufnahemn und Prognosen zur Umweltverschmutzung. Durch „Fridays for Future“ und "Extinction Rebellion" wächst der öffentliche Druck auf die Politik, nun endlich getroffene Vorgaben umzusetzen. Der BSM arbeitet noch an einer Strategie auch die Mobilität bei den FFF-Demos zu thematisieren.

Der Bundesregierung gelang die Verabschiedung eines völlig unzureichenden „Klima-Päckchens“, das bescheidene homöopathische Eingriffe irgendwann in der Zukunft enthält und in einigen Teilen im Bundesrat bereits zerpflückt wurde. Eine umfassende Strategie zur Dekarbonisierung fehlt weiterhin, und die Zeit drängt. Gemeinsam mit seinen Partnern im BEE, besonders dem BEM, BWE und BSW, aber auch Organisationen wie der Agora Verkehrswende, VCD, ADFC, NABU, Greenpeace u.a. wird sich der BSM auch 2020 dieser Aufgabe widmen. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass sich die Gesellschaft ihrer Verantwortung für das Klima bewusst wird und durchaus zu Verhaltensänderungen bereit ist. Es gibt noch Hoffnung.