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Dem VCD ins Stammbuch geschrieben

Unser Mitglied Julian Affeldt hat dem VCD einen Leserbrief gesandt. Die Prämierung des Erdgas-Ups von VW als umweltfreundlichstem Auto ist bei Elektromobilisten insgesamt schlecht angekommen. Der Argumentation von Julian Affeldt schließen wir uns vollinhaltlich an.

Sehr geehrter Herr Lottsiepen,
viel Dank für die Übersendung der vollständigen VCD Auto-Umweltliste 2013/2014, die ich nun in Ruhe lesen konnte. Bevor ich mir einige Anmerkungen erlaube, möchte ich voran schicken, dass meine Familie (4 Personen) und ich vielleicht ein wenig die mobile Zukunft schon heute leben:

  • Wir fahren alle viel und gerne Fahrrad, ich selbst fahre seit über drei Jahren so oft wie möglich mit einem Pedelec zur Arbeit (einfache Fahrt 11 km)
  • Wir nutzen für die Mobilität in Berlin den ÖPNV und seit Neuestem auch das Carshareing (Car2Go) für bestimmte Fälle; wir selbst wohnen in Kleinmachnow, einer Vorort-Gemeinde Berlins
  • Wir nutzen seit über drei Jahren Elektroautos, derzeit einen Peugeot iOn, für alle Fahrten, die mit Bike, Bus & Co. nicht sinnvoll abzubilden sind, u.a. aber auch für längere und weitere Ausflüge bis an die Ostsee oder in die Lausitz; seit 12 Jahren beziehen wir kontinuierlich Öko-Strom (Grüner Strom Label Gold, derzeit naturstrom), betreiben eine PV- und eine solarthermische Anlage
  • Unser altes Familien-Schlachtschiff, ein Opel Zafira (BJ. 2002), haben wir auf Autogas umgerüstet und vermieten diesen oft und gerne via Tamyca und Nachbarschaftsauto, da wir ihn selbst nur noch für weitere Urlaubsfahrten nutzen, aber nicht verkaufen wollen, da in zu gutem Zustand

Ich denke also, dass ich (wir) einigermaßen aussagekräftig sind, was eine moderne Familien- und Alltagsmobilität im suburbanen Raum einer Großstadt wie Berlin angeht. Dies nur als kurze Vorbemerkung.
Zu Ihren Bemerkungen in der VCD-Liste, die ich in weiten Teilen teile, nun wie folgt meine Anmerkungen, da ich dort Widersprüche sehe:
1. Sie merken an, dass reine Elektro-PKW bis 30.000km Fahrleistung benötigen, bis die „hohen Klimagasemissionen bei der Batterieproduktion“ ausgeglichen sind. Liegen Ihnen hierzu konkrete Zahlen und/oder Untersuchungen vor?

Für Li-Mn-Akkus können ca. 75 kg/kWh-Kapazität angenommen werden (http://www.electrochem.org/dl/ma/202/pdfs/0068.PDF); bei einer Kapazität von typ. 16 kWh muss das Fahrzeug demnach 75*16=1200kg CO2 einsparen. Dies entspricht der Verbrennung von 512 Litern Benzin (2,34 kg CO2 pro Liter Benzin ohne Vorläuferkette), was bei einem Verbrauch von 6 Liter/100 km einer Strecke von 8550km entspricht. Im Vergleich EV (15 kWh/100km) und Verbrenner (Benzin, 5 Liter/100 km) sowie der Nutzung von Strom gemäß bundesdeutschem Strommix (ca. 580 g CO2/100 km) ergeben sich 40.000km. Gegengerechnet werden müssen die entfallenen Produktion, Wartung, Reparatur und spätere Entsorgung von Teilen und Betriebsstoffen, die im Elektroauto nicht vorhanden sind, sowie die Nicht-Nutzung einer energieintensiven Vorläufer- und Versorgungskette. Ausgediente EV-Akkuzellen können größtenteils recycelt oder z.B. stationär für viele Jahre weiter verwendet werden. Es zeigt sich, dass auch bei Verwendung von Strom mit hoher CO2-Belastung in vertretbaren Zeiträumen Vorteile zugunsten des EVs entstehen.

Einmal abgesehen davon, dass 20.000 bis 30.000km keine echte Hürde für einen modernen PKW darstellen, findet sich genau dieser Wert (20.000km) auch bereits im „Prius Green Report“ in Bezug auf die nötige Fahrleistung, um den Produktionsaufwand für die Hybrid-Komponenten (Batterie, Steuereinheit, Motor)im Prius auszugleichen. Beim Prius wird dieser Energie- und Materialaufwand jedoch in Ihrem Beitrag nicht bemängelt, obwohl hier die vollständigen Komponenten für zwei vollwertige Antriebsstränge vorhanden und „mitgeschleppt“ werden. Doch von Kritik am Mehraufwand bei den Hybriden keine Rede. Beim Elektrofahrzeug wird der Material- und Energieaufwand jedoch in leicht kritisierender Form erwähnt („braucht es“), kein Wort jedoch von der Energie- und Materialersparnis für all jene Komponenten, die gar nicht gebraucht werden und auch nie kaputt gegen können (Getriebe, Tanksystem, Abgasreinigung, Kühlung etc. pp.). So werden bspw. für das Aufschmelzen von 1t Aluminium bereits 270 kWh verbraucht. Was nicht da ist, muss nicht mit Material- und Energieaufwand produziert, repariert, gewartet und später recycelt werden. Auch davon kein Wort, hier fehlt die Gegenüberstellung (vgl. dazu: www.greengear.de/oekobilanz-lithium-ionen-akku-elektromobilitaet/). Was also für den langjährigen Dauergewinner (Prius) gilt, kann und wird beim reinen Elektroauto nicht schlechter sein. So viel Fairness muss sein.

Und das Elektroauto spielt in diesem Zusammenhang einen weiteren seiner Trümpfe aus: wartungsfreie und zuverlässige Antriebstechnik, die höchstens den Werkstätten und Zulieferbetrieben die Tränen in die Augen treibt, nicht aber den Nutzern. Hier sei auch angemerkt, dass ein Bekannter aus Teltow vor zwei Jahren an seinem nun 18 Jahre alten Golf CityStromer das erste Mal Batterien tauschen musste! So viel zur Langlebigkeit.

Beim PKW mit Verbrennungsmotor ist zwar keine „energie- und materialintensive“ Batterie vorhanden, jedoch muss ein weltweites Produktions-, Verarbeitungs- und Tankstellennetz betrieben werden, ohne welches ein solches Fahrzeug keinen einzigen Meter zurücklegen kann. Allein der Unterhalt eines solchen Versorgungsnetzes ist nun wirklich material- und energieintensiv. Wie hoch also ist der Aufwand, eine Batterie zu produzieren und das Verteilnetz für Strom zu nutzen, das sowieso existiert und auch ohne Elektrofahrzeuge stets gewartet und modernisiert werden muss, denn auch in Zukunft müssen Haushalte und Industrie sicher und zuverlässig mit Strom versorgt werden, im Vergleich zur gesamten Versorgungskette der mit Benzin, Diesel oder Erdgas fahrenden Fahrzeuge? Der Mehraufwand für Elektrofahrzeuge nimmt sich darin ausgesprochen klein aus, wenn er denn überhaupt messbar oder zu beziffern ist. Das Elektrofahrzeug ist ein Stromverbraucher, wie Fernseher, Heizlüfter und Elektroherd auch, die wir alle jeden Tag brauchen und nutzen. Es kann über Nacht langsam und schonend mit dezentral erzeugter Energie gesteuert geladen und damit sinnvoll in die Stromnetze integriert werden.

Im Übrigen kritisieren sie beim Auris Hybrid die Lautstärke, vergessen jedoch zu erwähnen, dass Elektrofahrzeuge – insb. in Städten – maßgeblich zur „Entlärmung“ beitragen können, da sie niemals ein Motorengeräusch erzeugen, was besonders in den vielen Tempo-30-Zonen große Vorteile bringt. Und ehe Sie die Lautlosigkeit nun als Gefahrenpotential kritisieren: dann müssen Sie auch alle Fahrräder mit

einschließen, die sind noch leiser. Wir müssen uns nur daran gewöhnen und es unseren Kindern beibringen, dass moderne Fahrzeuge von heute keinen Lärm mehr machen, den Sie ja – völlig zu Recht - deutlich kritisieren.


2. Sie schreiben, dass „jeder Kraftstoff zu kostbar ist, um in ineffizienten Maschinen zu verbrennen“. Richtig! Doch von einer effizienten Nutzung von Treibstoffen in einem Verbrennungsmotor in einem PKW kann grundsätzlich keine Rede sein. Wirkungsgrade bei Benzinern von kaum über 20% ohne Vorlaufkette (Quellen: http://www.kfz-tech.de/Formelsammlung/Wirkungsgrad.htm sowie BMU; Diesel max. ca. 30%) können nicht ernsthaft als effizient bezeichnet werden. Man stelle sich eine Heizung mit 30% Wirkungsgrad vor! Niemand würde diese kaufen. Genau aber hier steht das Fahrzeug mit Verbrennungsmotor nach 125 Jahren Entwicklung: bei 20-30%.

Wo beginnt Effizienz? Meines Erachtens bei mind. 50%, also in Bereichen, die ein Verbrennungsmotor niemals erreichen wird und gemäß der Physik auch niemals erreichen kann. Daher ist es sinnlos, wertvolle Energieträger, auch Erdgas, gerade Biogas und im Besonderen Wind-Gas, sozusagen zum Fahren schlicht zu verheizen. Denn auch die Nutzung der Abwärme im Winter steigert den realen Wirkungsgrad nur minimal, der weitaus größte Anteil entweicht weiterhin ungenutzt (aber teuer bezahlt!) in die Umwelt und belastet z.B. Innenstädte mit unerwünschter Wärme, Abgasen und Feinstäuben.

In diesem Zusammenhang kann ein Verbrennungsmotor also auch nicht als sparsam bezeichnet werden. Er ist und bleibt ein Raubtier, der wertvolle Ressourcen frisst. Höchstens ein „weniger verbrauchend als“ wäre sprachlich angemessen und bildet auch nicht ab, was eben nicht ist: es gibt keinen effizienten und sparsamen Verbrennungsmotor. Mehr als 50% der eingesetzten Energie gehen immer verloren.

Weiterhin sehe ich es als kritisch an, wenn Sie die neuen Erdgasmodelle lobend hervorheben, es andererseits begrüßen, wenn die deutschen Erdgasvorkommen geschont werden sollen. Nun, irgendwoher muss das Erdgas ja kommen. Und wenn nicht (oder nur zum geringen Teil) aus Deutschland, woher dann? Die Reichweite des deutschen Erdgases inkl. Fracking liegt bei unter 20 Jahren. Im Grunde ist das nichts. Fahren mehr und mehr Fahrzeuge mit Erdgas, wird die Reichweite noch weiter reduziert. Es aus anderen Ländern zu holen, ist kein Persilschein.

Nun muss man sich zudem fragen, an welcher Stelle ist die Nutzung von Erdgas wirklich sinnvoll? Sicher nicht in einem PKW. Besser in effizienten Brennwert-Heizungen und KWK-Kraftwerken. Noch besser in dezentralen BHKW bis hin zu mini-BHKWs, in denen Wärme und Strom ohne große Verteilnetze erzeugt und genutzt werden können. Maximaler Wirkungsgrad! Davon ist die Nutzung in einem Verbrennungsmotor eines PKW Lichtjahre entfernt. Nutzen wir das „saubere“ Erdgas besser in o.g. Weise, so bringt das mehr für unser Klima, als wenn wir es verfahren und glauben, damit etwas für unser Klima zu tun (was weg ist, ist weg). Und mit dem Strom könnte man ja auch wieder ein Elektrofahrzeug laden...

Für jeden Energieträger gilt: je weniger Umwandlungen, desto besser: Öl und Gas sind optimal zur Erzeugung von Wärme (wenn auch nicht gerade umweltfreundlich), Strom ist ideal zum Antrieb eines Motors geeignet. Für eine Verbreitung des Erdgasautos fehlt es (noch) an einem ausreichenden Verteilnetz; selbst in Berlin finden Sie kaum Erdgastankstellen. Deutlich besser sieht es beim Autogas aus. Strom finden Sie dagegen fast überall und können ihn auch noch selber erzeugen.

Weiterhin möchte ich gerne noch hinzufügen:

  • Sie schreiben, dass der Boom bei Elektro-PKW auf sich warten lässt. Mal abgesehen vom überragenden Verkaufserfolg des Model S von Tesla in den USA und Europa sowie den hohen Zulassungszahlen des Leafs in Norwegen, so muss man doch auch sehen, dass es bisher kaum Modelle gibt. Wer einen Kombi oder einen VAN sucht, wird eben nicht einen iOn oder Ampera kaufen. Wer einen VW haben will, wird ggf. keinen Toyota kaufen. Die Verkaufserfolge des ersten Prius waren nicht weniger bescheiden. Heute sieht das anders aus, weil Toyota an den Prius geglaubt hat. Tun das auch die deutschen Hersteller in Sachen Elektromobilität? Reden und entwickeln wir eine faszinierende Technik weg?
  • Dass, wie oft behauptet, die Reichweite im Winter „dramatisch“ sinkt, ist auch nur eine Halbwahrheit. Einerseits sinkt auch die Reichweite von Verbrennern im Winter durch höheren Verbrauch (insb. auf Kurzstrecken) deutlich, andererseits kann durch verbesserte Heizsysteme (Wärmepumpe oder Bioethanolheizung), optimierte Innenraum-Isolierung, Wärmerückgewinnung und Akkuvorheizung die Reichweite fast auf Sommerniveau verbleiben. Diese Techniken sind verfügbar (z.B. in fast jedem neuen Wäschetrockner) und kostengünstig, z.B. im Zoe oder im smart ed. Dies sind keine neuartigen Techniken, sie müssen von den Herstellern nur eingebaut werden.
  • Die Versorgung mit 100% sauberen Strom ist ebenfalls kein Problem. Eine Unterschrift reicht. Wenn mit einem Ökostrom-Vertrag ein Fernseher sauber versorgt wird, gilt das auch für ein Elektroauto. Sogar die zeitgleiche Bereitstellung ist keine grundsätzliche technische Hürde. Hierzu bedarf es lediglich eines passenden Lastprofils (gemäß Aussage naturstrom). Vorschläge zu einem netzschonenden Laden gibt es wie Sand am Meer.

Sehr geehrter Herr Lottsiepen, ich begrüße ausdrücklich Ihre Arbeit, die Sie mit der VCD-Umweltliste leisten. Ich wünsche mir in einigen wenigen, ausgewählten Punkten nur eine etwas ganzheitlichere Herangehensweise. Zu oft und zu viele Un- und Halbwahrheiten wurden verbreitet, damit muss endlich Schluss sein. Bitte helfen Sie dabei mit.
Sehr gerne möchte ich an meine Einladung zur 2. eTour-Brandenburg im Mai 2014 erinnern. Wir würden uns freuen, Sie als Gast oder Partner begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen,
J. Affeldt
Kleinmachnow