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VW konzentriert sich auf Elektromobilität

In einem Strategiepapier hat der Volkswagenkonzern dargelegt, warum er sich von der Forschung und Weiterentwicklung der anderen Technologien als dem batterie-elektrischen Antrieb verabschiedet - und welche Maßnahmen er von der Politik, aber auch seinem Branchenverband VDA und dem Rest der Automobilindustrie erwartet. Viele der Vorschläge könnten direkt beim BSM abgeschrieben worden sein.

von M. Breust / Redaktion: A.-M. Reinhardt

Der größte Autobauer Deutschlands und mit 10, 4 Mio. verkauften Kraftfahrzeugen in 2018 auch weltweit hat einen bahnbrechenden Strategiewechsel verkündet: Volkswagen erklärt die Elektromobilität zur Leittechnologie und distanziert sich zugleich von der - bisher von der Branche wie eine Monstranz verfolgten - „Technologieoffenheit“. Volkswagens Vorstandsvorsitzender Herbert Diess (links auf der Bilanz-PK 12.03.19 / © VW) schrieb am 16.März auf LinkedIn: " 'Technologieoffen' – das war immer das Credo der deutschen Autoindustrie. Benziner und Diesel, CNG und Hybride, E-Autos, Brennstoffzelle und synthetische Kraftstoffe: Im Prinzip hat jeder alles gemacht, meist parallel. Die industriepolitische Festlegung auf eine Leittechnologie wurde abgelehnt, auch von Volkswagen. Aber diese Haltung ist von gestern."

Mit der Volkswagen AG hat erstmals ein großer Automobilkonzern angekündigt, sich voll auf die Elektromobilität zu konzentrieren. Dies geht aus einem internen Strategiepapier hervor, das dem BSM vorliegt. Darin unterbreitet VW "Ansätze und Vorschläge zur besseren Förderung von Elektromobilität in Deutschland". Der Konzern bekennt sich zu den Klimazielen der Bundesregierung  ("CO2-Reduktion um 37,5% bis 2030"), fordert die Kaufprämie zu verlängern, reziprok zu Preis oder Fahrzeuggröße zu bemessen und auf Gebrauchtwagen auszudehnen sowie den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu beschleunigen. Außerdem sollen Geringverdiener den Fahrstrom geschenkt bekommen, das Dienstwagen-Privileg für Plug-in-Hybride auf 0,75 % heraufgesetzt werden und rechtliche Hindernisse für die Errichtung von Ladesäulen in WEG-Garagen oder auf Einzelhandelsparkplätzen müssen beseitigt werden.

Der BSM unterstützt viele dieser Forderungen - zumindest dem Grunde nach. Die Sortierung des EMoG mit PIHV als "elektrisch" war aus Sicht des BSM nicht haltbar, die ausdrückliche Förderung kleiner E-Fahrzeuge wäre aus sozialen und Effizienzgründen sinnvoll, und "weder synthetischen Kraftstoffen ('power-to-gas') noch der Brennstoffzelle haben wir je viel abgewinnen können, auch weil es sich bislang um ziemlich ineffiziente Technologien handelt,", so BSM-Vorstand Matthias Breust. Andere Forderungen wie zur Förderung des Infrastrukturausbaus, ergänzt der Vorsitzende des BSM Thomic Ruschmeyer, "haben wir in unserer 30jährigen Geschichte immer wieder erhoben. Vor allem die Forderung nach kleinen effizienten Autos ist zu begrüßen, auch wenn in Deutschland vor allem VW selbst davon profitiert."

 

Tote Winkel
Anzumerken ist jedoch, dass bei allen guten Ansätzen ein Hinweis z.B. auf die Herkunft des Stroms aus Erneuerbaren Energien oder auf die Integration in das Versorgungsnetz (Stichwort Sektorenkopplung) völlig fehlt. Obwohl VW mit MOIA ein multimodales Konzept verfolgt, finden sich in dem VW-Papier nicht einmal Andeutungen auf Sharing oder Pooling-Konzepte. Insofern ist das Papier vielleicht ein Weckruf für den VDA und vielleicht die Kolleg*innen bei den OEMs, aber ein großer Wurf für Deutschlands Mobilitätswirklichkeit ist es allenfalls in Teilbereichen.

 

Immerhin hat VW mit dem Strategiepapier zunächst explizit unterfüttert, was sich bereits abgezeichnet hat. Mit dem eGolf als einem der ersten deutschen Serien-E-Fahrzeuge überhaupt, mit der Gründung von MOIA, den Aktivitäten bei Einspurfahrzeugen wie Pedelecs, Cargobikes und der Entwicklung von Elektrokleinstfahrzeugen setzten sich die Wolfsburger immer schon etwas ab gegenüber Daimler und BMW, von Opel und Ford ganz zu schweigen. Alle VW-Marken - auch Audi, Skoda und Porsche - haben diese Linie Richtung elektrische effiziente (Mikro-)Mobilität zuletzt beim Autosalon 2019 Anfang März in Genf fortgeführt.

In dem Strategie-Statement heißt es weiter: "Volkswagen wird nicht mehr seine Verbrenner verbessern, synthetische Kraftstoffe entwickeln und Brennstoffzelle favorisieren. Hierzu muss der Staat seine Förderung anpassen und besonders den Kauf kleiner Fahrzeuge unterstützen." Auch der VDA als Sprachrohr und mächtige Lobby der Industrie müsse sich von der "Technologieoffenheit" verabschieden. Damit stellt sich VW vor allem gegen Daimler, die mit dem "GLC Fuel Cell" soeben das erste Brennstoffzellen-Modell im Angebot haben.

rechts: VW Streetmate und Cargobike auf dem Autosalon Genf 2019 (© mb/BSM)

Jetzt wird eh alles anders
Die 11. Kalenderwoche im März 2019 könnte einst als Wendepunkt zur Elektromobilität in die Historie eingehen. Bei der Bilanz-PK der Volkswagen AG am Mittwoch und beim 21. Technischen Kongress des VDA ("Umwelt, Energie und Elektromobilität, Fahrzeugsicherheit und Elektronik") am Donnerstag wurde deutlich, was dann über das Wochenende einige Wellen schlug.

VW-Chef Herbert Diess hat die ersten Meldungen, sein Unternehmen würde nun auch den VDA verlassen, zwar relativiert. Aber angesichts der Hängepartien an allen Fronten und natürlich dem Verlust an Glaubwürdigkeit in Folge der Dieselaffäre war es vielleicht an der Zeit ein Zeichen zu setzen. Schon im Dezember 2018 bemängelte Diess die zögerliche Haltung der Politik bei der Unterstützung des Autos. Diese Argumentationslinie findet sich auch in dem VW-Papier wieder, in dem "alle gegenwärtigen finanziellen Fördermaßnahmen, die Ausbaupläne für Ladeinfrastruktur und die existierenden Rahmenbedingungen" als nicht ausreichend bezeichnet werden. Es sei zu befürchten, dass die Regulierung der Elektromobilität nicht mit den Zielen der Automobilindustrie und auch nicht mit den europäischen und nationalen Regelungen zum Klimaschutz Schritt halten könne.

Nach dieser Eskalation fährt entweder VW allein seinen Weg in die Elektromobilität - und ist in ein paar Jahren weiter vorn als die anderen. Oder Daimler und Co. nehmen diese Gelegenheit zum Anlass, ihre Kräfte ebenfalls beim BEV zu bündeln. Sollte VW etwa den Ausbau der Wasserstoff-Tankstellen nicht mittragen, ist die Brennstoffzelle wahrscheinlich bald erledigt. Synthetische oder andere alternative Kraftstoffe mögen zwar vor allem international noch einige Jahre interessant bleiben. Aber bis zu einer marktfähigen Lösung könnte der Pkw mit Verbrennungsmotor hierzulande schon obsolet geworden sein und als Abnehmer ausfallen. Zu groß ist mittlerweile der Vertrauensverlust.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die bislang nicht als sonderlich autofeindlich aufgefallen ist, berichtete noch am Sonntag, dass der VDA nicht mehr die gesamte Branche vertrete. In den Chefetagen werde erwogen, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen oder sogar zu beenden. Was die versammelten Umweltverbände mit BSM, BEE und Co. nicht erreicht haben, schaffen die VDA-Mitglieder nun selbst. Da der Markt trotz aller Anreize bis heute nicht recht angezogen hat, und die Politik unter dem Einfluss des VDA kein seriöses und als nachhaltiges zu bezeichnendes Engagement im Sinne der UN-Klimaziele entwickelt hat, zieht VW jetzt die Reißleine. Allerdings fordert VW auch, den "Kulturkampf gegen das Auto" aufzunehmen und erwartet nicht nur Subventionen für Fahrzeuge und Infrasstruktur, sondern auch ein positives und konsumfreundliches Umfeld für seine Produkte.

Wann immer ich in den letzten Monaten Mitarbeiter des VW-Konzerns auf Veranstaltungen traf, wurden Vertreter aus Umweltverbänden und Zivilgesellschaft hinter vorgehaltener Hand gefragt, ob wir denn das Auto ganz ablehnen und z.B. aus den Städten verbannen würden. Das war prinzipiell zu bejahen, letztlich führt eine Konversion des Bestands lediglich zu einem grünen Stau bei aller Schadstoffreduzierung. Die Verkehrswende wird das Auto nicht nur sauberer machen, sondern aus vielen Lebensbereichen allmählich zurückdrängen. Noch ist Volkswagen nicht bei dieser Erkenntnis angelangt, zumindest nicht offiziell.

Aus Sicht des BSM ist der Strategiewechsel Volkswagens zu begrüssen. Vor dem Hintergrund der CO2-Klimaziele und der notwendigen Verkehrswende ist es durchaus positiv, wenn sich die Autohersteller engagierter einbringen bei den notwendigen Emissionsreduktionen und Investitionen in Mobilitäts-/Zukunftstechnologien. Die deutsche Automobilindustrie muss den Wandel im Verkehrsbereich mittragen. Volkswagen hat sich jetzt auf diesen Weg gemacht, aber wie sieht es bei den Wettbewerbern und beim VDA insgesamt aus. Dieser Frage wird der BSM-Vorstand auch während der Hannovermesse 2019 in seinem Forum am 3. April nachgehen.